„Ein wenig Diktatur muss sein“

Auf dem Sprung zur Weltkarriere: Der finnische Dirigent John Storgårds gastiert in Düsseldorf.

Helsinki/Düsseldorf. Am Abend hat John Storgårds mit kraftvoller Intensität das Helsinki Philharmonic Orchestra dirigiert - natürlich musste es Sibelius zum Saisonauftakt sein. Am nächsten Morgen erscheint er sympathisch verstrubbelt zum Interview im Hotel. Verbeugungen des Personals erwartet der Star der finnischen Klassikszene offensichtlich nicht, als er in Jeans durch die Halle geht. Unmittelbar nach dem Gespräch will der 47-Jährige mit seiner Frau und dem kleinen Sohn auf seine Privatinsel fahren, wo nur ab und zu ein Elch vorbeigeschwommen kommt.

Herr Storgårds, Sie sind auf dem Sprung zur Weltkarriere. Ist das nicht relativ spät?

Storgårds: Nein, ich bin froh, dass meine Karriere nicht so früh abgehoben hat. Stattdessen habe ich mich langsam und kontinuierlich entwickeln können: Deswegen fühle ich mich stark. Ich habe ein großes Repertoire (alle Sibelius-, alle Bruckner-, alle Mozart-Symphonien, der ganze Brahms, der ganze Schumann, das meiste von Mahler) - auch im Vergleich zu Kollegen, die früh nach oben katapultiert worden sind und unter immensem Erwartungsdruck Dinge präsentieren müssen, die sie sich noch gar nicht richtig erarbeitet haben.

Wie erarbeiten Sie denn Ihre Stücke - früher waren viele Dirigenten ja als Diktatoren verrufen?

Storgårds (schweigt erst und lächelt): Man kann die Zeit nicht zurückdrehen. Orchester erwarten heute einen anderen Umgang. Aber ein wenig Diktatur muss immer noch sein. Wenn man zu demokratisch rangeht, wird es ein einziges Durcheinander. Wenn man 100 Leute bei der Probe schwätzen lässt, vergeudet man viel Zeit. Natürlich erzielt man die besten Resultate, wenn die Musiker sich eingebunden fühlen und die Idee einer Musikinterpretation mittragen.

Wie vermitteln Sie einem Orchester Ihre Vorstellungen von einem Stück, reden Sie viel mit Ihnen?

Storgårds: Nein, meine Musiker erkennen an meinen Blicken und Bewegungen, wie sie etwas spielen sollen. Es gibt Dirigenten, die viel reden - der große Carlos Kleiber zum Beispiel, der konnte das aber auch sehr gut. Bei machen Dirigenten ist es gut, wenn sie reden, bei anderen - wie bei mir - eher nicht (lacht).

In Düsseldorf spielen Sie auch Schumann - eine Verbeugung vor dem Publikum am Rhein?

Storgårds: Ja, aber in erster Linie fühle ich mich sehr zuhause in seiner Musik. Ich liebe diesen schnellen Wechsel im Ausdruck und diese plötzlichen Sprünge von totaler Intimität zum Drama. Bei Mahler geht es mir ähnlich. Vielleicht ist mein Charakter auch so, dass ich gerne schnell von einer Sache zur nächsten springe.

Sie gelten als innovativer Programmplaner. Wie riskant ist das?

Storgårds: Ich fordere das Publikum gerne heraus. Die Leute sind im allgemeinen weder dumm noch faul noch desinteressiert. Manche meinen vielleicht, sie wüssten ganz genau, was sie mögen. Aber wenn man eine kleine Überraschung einbaut in einen Rahmen, den das Publikum gut kennt - etwa eine sichere Bank wie die "Waldnymphe" von Sibelius mit einer Symphonie von Valentin Silvestrov (*1937) kombiniert - dann kann das viele sehr beglücken. Genau solche Überraschungen mag ich.

Sie werden bis heute auch als Violinist verpflichtet. Haben Sie überhaupt Zeit zu üben?

Storgårds: Ich übe so gut wie jeden Tag, und ich übe gern. Es ist immer ein glücklicher Moment, wenn ich meine Geige aus ihrem Kasten nehme. Als Kontrast zur Orchesterarbeit mit vielen Menschen arbeite ich dann mit meiner Geige allein in einem Raum an einem Solostück - wunderbar.

Wie belastend ist die Tournee für Sie und das Orchester? Es sind immerhin elf Konzerte in 13 Tagen.

Storgårds: Das ist ein strammes Programm. Auch für mich wird das ziemlich anstrengend. Andere Orchester sind mit zwei Dirigenten unterwegs, die sich abwechseln. An den verschiedenen Orten tauschen wir auch immer Teile des Programms, damit die Musiker geistig wach bleiben. Wenn man elf Mal hintereinander die selbe Sibeliussymphonie spielt, meinen manche, sie könnten das im Schlaf. Auf der anderen Seite bin ich ganz froh, mal wegzukommen, wenn es in Finnland sehr feucht und dunkel wird.

Reagiert das Publikum immer gleich auf die Musik?

Storgårds: Ja, außer in Asien. Wir waren 2008 während der Olympischen Spiele in China. Die Leute sind sehr wild während eines Konzerts, sie rufen, sie applaudieren. Ich kam mir vor wie ein Fußballspieler.

Das hatte er als Junge auch mal werden wollen. Bis heute bewundert Storgårds Franz Beckenbauer und Sepp Maier und ist enthusiastischer, aber oft enttäuschter Fernsehfußball-Fan seiner Nationalmannschaft: "Solange der Deutsche Fußballbund mehr Mitglieder hat als ganz Finnland Einwohner, bleibt das mit der WM-Qualifikation schwierig."

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