Der „europäische Elvis“ gibt sich im Glitzer-Jacket die Ehre

Mit 73 Jahren will es Cliff Richard noch einmal wissen. Bei seiner Deutschlandtour punktet er mit Ironie und allen seinen Hits.

Der „europäische Elvis“ gibt sich im Glitzer-Jacket die Ehre
Foto: dpa

Hamburg. Man mag ihm Beliebigkeit vorwerfen, ihn als Schnulzenheini verspotten, als Pop-Ritter verachten, doch Sir Cliff Richard gehört mit 250 Millionen verkauften Alben, Nummer-eins-Hits in jedem Jahrzehnt seiner mehr als 50-jährigen Karriere und dem inzwischen 100. Album zu den erfolgreichsten Künstlern Großbritanniens.

Cliff Richard ist ein Phänomen, das auch im 21. Jahrhundert die Hallen füllt. Wie beim Auftakt seiner Deutschland-Tournee am Dienstag in Hamburg — von der ersten Minute an voller Lebhaftigkeit und mitreißender Agilität.

Man sieht dem 73-Jährigen sein Alter nicht an — wie er da in seinem schwarz-silber Glitzer-Jacket und ebensolchen Schuhen auf die Bühne springt. Ob Botox-Spritze oder Chirurgen-Skalpell, Haartransplantationen oder Intensivtönung, den Hüftschwung, der ihm einst den Titel „europäischer Elvis“ einbrachte, hat der Brite noch immer drauf. Er, der einst die Mädchen zum Kreischen brachte, der in seine Stimme so viel Schmalz legen konnte wie in seine Haartolle, für den sich Fans geprügelt hätten.

Das mag man dem gediegenen, grau melierten Publikum in Hamburg auf den ersten Blick kaum zutrauen, dass es diese Fans von einst sind, wie sie da gediegen auf ihren Stühlen sitzen, ihre Operngläser zücken. Doch bereits als der Pop-Ritter zum ersten Mal auf die Bühne stürmt und „Still Reelin’ and A-Rockin“ von seinem aktuellen Album anstimmt, ist zumindest im ersten Block vor der Bühne kein Halten mehr. Bei „Summer Holiday“ kommt gleich im ganzen Saal Bewegung auf, die Arme schwingen durch die Lüfte, Finger schnipsen, und ein Teddybär fliegt auf die Bühne.

Cliff Richard scheint bei seinen Songs keiner Dramaturgie zu folgen. Fast überfallartig wechseln sich fetzigere Songs mit Balladen ab. Gut so, denn gerade bei den schnellen Stücken übertönt die neunköpfigen Band die Stimme des 73-Jährigen das ein oder andere Mal, dass so mancher Herr zusammenzuckt — oder auch nur die „Wahnsinns-Vibration“ von Richards Stimme vermisst. Doch wenn dann gleich darauf schon wieder eine der Schnulzen folgt, kann das Publikum wieder mitschwofen.

Gerade die Balladen waren es auch, die viele Fans dem Rock ‘n’ Roller Cliff Richard nie verziehen haben, und die nicht selten floppten, wie der Künstler an diesem Abend anmerkt und sie dann doch unbeirrt präsentiert. Mit „Move It“ hatte der 1940 in Indien geborene Brite 1958 als Rock ‘n’ Roller seine erste Single auf den Markt gebracht, nur ein Jahr später landete er mit „Living Doll“ und „Travellin’ Light“ seine ersten beiden Nr. 1-Hits.

Hitverdächtig auch seine aktuelle Tour: Als er zum Schluss „We Don’t Talk Anymore“ anstimmt, gelingt es auch dem Sicherheitspersonal nicht mehr, die enthusiastischen Fans von der Bühne zurückzuhalten. Und selbst die Skeptiker gehen nach diesem Abend mit mindestens einem Ohrwurm und extrem beschwingt nach Hause.

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