Dem Volk ins Hirn geschaut

Das aktuelle Buch von Dietmar Wischmeyer heißt „Vorspeisen zum jüngsten Gericht: Ein Nachruf auf unsere fetten Jahre“. Wir trafen den Bambi-Preisträger.

Dietmar Wischmeyer, 60, ist für seine Fans der Gangsta-Rapper der deutschen Comedy. Er gestaltet „Alltagsbegriffe zu verbalen Dampframmen“ um. Fernsehzuschauern ist der studierte Philosoph, Satiriker, Comedian, Buchautor und Radiomacher als scharfzüngiger Beiträger der „heute-show“ im ZDF bekannt geworden. Das aktuelle Buch des Bambi-Preisträgers aus Niedersachsen heißt „Vorspeisen zum jüngsten Gericht: Ein Nachruf auf unsere fetten Jahre“. Dietmar Wischmeyer über seine satirischen Beobachtungen aus dem deutschen Alltag.

Sie haben an der Universität Bielefeld Philosophie studiert. Kann man sagen, dass Sie seitdem versuchen, auf satirische Weise die menschliche Existenz zu ergründen?

Dietmar Wischmeyer: Natürlich, weil es der Selbsterkenntnis zugute kommt, wenn man sich mit anderen Leuten und ihren seltsamen Verhaltensweisen ethnografisch beschäftigt, als ob es Papua-Neuguinea wäre. Man ist ja selber auch nicht so viel anders.

In Ihrem neuesten Buch dokumentieren Sie „Zeugenaussagen über den Gemütszustand der normalen Daseinsmitbewerber“. Was haben Sie Neues über das Wesen der Deutschen herausgefunden?

Wischmeyer: Ich habe im Wesentlichen etwas über mich selbst herausgefunden: Dass es sehr viel Spaß macht, sich komplett in die Gedankenwelt und den Rededuktus eines anderen Menschen hineinzudenken. In den USA ist das sogar Lehrfach, in Deutschland leider nicht.

So, wie Sie die Szenen einer Ehe beschreiben, muss dieser Bund die Hölle sein. Eigene Erfahrungen?

Wischmeyer: Zumindest in diesen kurzen Sequenzen ist sie die Hölle. Darin wird sich jeder, der eine Ehe vollzieht, wiedererkennen. Solche Momente gibt es überall. Wenn zwei Wesen in einer Zwangsgemeinschaft zusammenleben, dann müssen sie irgendwann aneinandergeraten, alles andere wäre furchtbar traurig.

Und wie haben Sie für den Text über den zynischen Fleischerei-Fürsten Horst Fritzenkötter recherchiert?

Wischmeyer: Solche Menschen kenne ich persönlich. Ich trete häufig als „Günther der Treckerfahrer“ bei Firmenjubiläen oder Ähnlichem auf. Kein anderer Satiriker oder Komiker macht sich die Mühe, einen speziellen Text zu einer Branche oder zu einem Menschen zu verfassen, alle spulen bei solchen Veranstaltungen nur Teile ihres Programms ab. Auf diese Art und Weise gewinne ich Einblicke bei unterschiedlichen Branchen. Ich war schon bei Fleischereien, Tiefbauunternehmen oder Tierarztpraxen. Das ist die größte Reise in die Tiefen dieser Gesellschaft.

Was macht Sie so sicher, dass wir uns in der Endphase der satten Jahre befinden?

Wischmeyer: Das ist eine logische Folgerung: Es geht uns zu gut, das hat auch etwas Unheilverkündendes. Ich mache es gar nicht sachlich daran fest, dass wir der Vollbeschäftigung nahe sind und unser Gesundheitssystem besser funktioniert als in fast allen Ländern Europas und der Welt sowieso. Auf den Zenit kann eigentlich nur der Absturz folgen. Wenn es einem schlecht geht, hat man immer noch die Hoffnung, dass es einem besser gehen kann. Jetzt aber nicht. Ich kenne viele Akadamiker-Elternpaare, deren Kindern es nicht besser geht als ihnen selbst. Das ist eine ganz neue Erfahrung. Nach dem Gefühl der meisten Leute sind die fetten Jahre vorbei.

Muss man als Künstler nicht immer zuversichtlich in die Zukunft blicken, um etwas erschaffen zu können, an dem sich Menschen erfreuen können?

Wischmeyer: Nein. Es gibt viel mehr Romane, Gedichte, Kunstwerke, Musikstücke, die voller Depressionen und Warnungen sind vor dem, was passiert. Außer Rosamunde Pilcher kenne ich kaum einen, der Zuversicht in irgendetwas hat.

Sind Sie angewiesen auf Wut, um Schreiben zu können?

Wischmeyer: Es ist ein großer Aderlass, wenn man das schreibend bewältigen kann, was einen wütend macht beziehungsweise durchdrehen ließe. Das ist ein besseres Ventil, als mit der Axt durch die Fußgängerzone zu laufen. Ich bin froh, dass mir das Schreiben gegeben ist, nicht, dass ich glaube, ich würde nach der Axt greifen. Aber es ist schon eine Triebkraft. Es macht einfach Spaß, das, was man doof oder dumm findet, in kluge Worte zu fassen.

Haben Sie als Künstler ein Ziel — den zivilisatorischen Fortschritt sozusagen?

Wischmeyer: Nein, das wäre Hybris. Ich denke, dass viele Künstler tief im Innersten nicht wirklich glauben, dass sie mit ihrer Kunst etwas bewirken können. „To make the world a better place“ ist eine schöne Floskel, aber es gelingt den wenigsten. Wenn ich überhaupt etwas erreichen will — außer dass ich damit meinen Lebensunterhalt verdiene —, dann will ich, dass die Leute über meine Texte nachdenken. Wenn sie über den Witz und das Lachen zu einer Erkenntnis über sich selbst fänden und sich eine Auszeit aus dem Wahnsinn nähmen, wäre schon viel erreicht.

Gibt es ein Satiriker-Ethos, dem Sie sich verpflichtet fühlen?

Wischmeyer: Das Satiriker-Ethos, das alle wie eine Monstranz vor sich hertragen, lautet: „Schlage nie einen Gedemütigten, dem es sowieso schon schlecht geht! Rege dich nur auf über die Mächtigen!“ Ich aber sage: alles Quatsch! Der Satiriker ist ein Hund, der alles anpinkelt. Er ist ungerecht, gemein, verkürzt komplexe Sachverhalte für einen guten Witz. Kurzum: Er ist keine moralische Instanz. Seit den Anschlägen auf die französische Zeitschrift „Charlie Hebdo“ muss ein Satiriker das sein, was früher die Geistlichkeit war: eine Margot Käßmann, aber mit Witz. Das kann und will ich gar nicht leisten.

Darf Satire unsachlich sein und muss sie weh tun?

Wischmeyer: Die Frage stellt sich nicht, ob sie es soll oder ob sie es darf. Die Satire ist einfach so. Sie würde für einen guten Witz ihre eigene Großmutter fressen. Sobald sie anfängt, moralisierend zu werden, kippt sie ganz schnell über ins Moralinsaure. Man merkt die Absicht und ist verstimmt. Da schüttelt es mich.

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