Das Gegenteil von Phil Collins

Gäbe es in der deutschen Popmusik ein Synonym für Beständigkeit, müsste es wohl Element of Crime lauten. Auch ihr neues Album ist Sprachpoesie pur.

Düsseldorf. Für das letzte Album gab’s Gold, das erste Edelmetall in der mittlerweile 24 Jahre währenden Bandgeschichte von Element of Crime. Frontmann Sven Regener freut sich darüber, mehr noch, als man es von dem Mann, der den trendresistenten und deswegen stets unbeeindruckten Herrn Lehmann erfand, erwartet hätte.

Obwohl es natürlich Blödsinn ist, Rückschlüsse von einer Romanfigur auf ihren Autor zu ziehen - was Regener auch prompt beweist, wenn er sagt: "Das war für uns schon etwas Besonderes, weniger, weil wir dann das Goldene Ding an der Wand hängen haben, sondern eher, weil wir als Musiker wissen, dass es erstmal weitergeht."

Die ständige Angst, nach dem nächsten Album könnte Schluss sein - bei Element of Crime schwingt sie immer mit, auch nach dem Erfolg von "Mittelpunkt der Welt". "Klar, in so einer Produktion hängt ’ne Menge Geld drin. Da ist es völlig verständlich, wenn eine Plattenfirma einen Flop nicht so richtig gut findet."

Auch vor Erscheinen des neuen Werks mit dem leicht sperrigen, aber wie immer höchst alltagslyrischen Titel "Immer da wo du bist bin ich nie", herrscht die Nervosität vor, Goldene Schallplatte hin oder her. Denn Flops hat sich das Berliner Quartett schon einige geleistet. Und deswegen kennen sie das Gefühl, morgen vielleicht schon ihr Geld nicht mehr mit Musik verdienen zu können.

Erstmal aber zuckelt er weiter, der Liederzirkus von Element of Crime, wetterfest, beständig, aber weit davon entfernt, zu langweilen. Wozu Experimente, wenn sich ein Konzept bewährt hat, und auch nach fast einem Viertel Jahrhundert immer noch neue Fans, vor allem unter nachwachsenden Studenten, rekrutiert. Kult ist ein Begriff, der im Zusammenhang mit Element of Crime immer wieder fällt. Regener will sich darüber keine Gedanken machen: "Ich denke nicht, dass wir etwas Kultisches haben. Das spielt für mich immer direkt in eine religiöse Ecke, und damit habe ich nicht so viel am Hut."

Was er auch mit seinen elf neuen Songs wieder belegt. Irdischer und lebenszugewandter als die Texte von Regener können Liedzeilen eigentlich nicht sein. Es geht um die mal stillen, dann wieder furchtbar lauten Momente unseres Daseins, darum, aus der stumpfen Wiederholung des Alltags ausbrechen zu wollen, es aber nicht zu schaffen, sich deswegen aber auch nicht grämen zu müssen.

"Nur, wenn ich lachen muss, tut es noch weh", singt der 48-Jährige in "Kaffee und Karin", einem Hohelied auf die echte, therapeutische Gasthauskultur, wo die Melancholie zur Inneneinrichtung gehört wie die leicht abgewetzten Sitzbezüge der durchgesessenen Holzbänke. Der viel zitierte Spruch von Josef Hader, "Das Leben ist ein Scheiß’: lauter Katastrophen und zwischendrin Langeweile", findet hier seine lakonische Entsprechung auf musikalischer Ebene.

Das Schöne an diesen Ausflügen in die wohlige Sinnkrise ist, dass Element of Crime keinen moralisierenden Anspruch haben. "Eigentlich stellen wir überhaupt keinen Anspruch", sagt Regener und lacht. "Der Künstler hat nicht das Recht, geliebt oder verstanden zu werden. Er ja noch nicht mal das Recht, interpretiert zu werden."

Gedanken, warum seine Musik es ohne nennenswerte Veränderung geschafft hat, zu einem Erfolgskonzept zu werden, macht er sich trotzdem: "Es sind offenbar meine Beobachtungen, wie unser aller Leben tagtäglich verhackstückt wird. Vor allem Leute, die in einem Zwischenstadium leben, scheint das anzusprechen." Wer erwachsen wird, kann mit seiner Musik also nichts mehr anfangen? Regener lacht, ein wenig Bitterkeit ist herauszuhören: "Ich glaube, wer für sich in Anspruch nimmt, erwachsen zu sein, überschätzt sich selbst. Noch schlimmer: Er hat kein Gespür mehr für die Probleme von Kindern und Jugendlichen."

Als Künstler erwartet Regener also nichts, aber als Berufstätiger schon einiges. "Was ich mache, ist Arbeit. Nur herrscht in Deutschland leider die Meinung vor, Kunst dürfe nichts kosten, weil sie sonst kommerziell wird. Da sitzt leider immer noch das Bild vom ,Armen Poeten’ in den Köpfen fest." Dass Menschen sich zurzeit Musik umsonst aus dem Netz laden, kann ihn nicht sonderlich aufregen, da das für ihn nur die logische Folge dieser Werteignoranz ist.

"Allerdings werden die Folgen schrecklich sein", warnt er. "Die ersten, die dann keine Plattenverträge mehr kriegen, sind die kleinen Bands. Irgendwann ist dann nur noch der Mainstream finanzierbar", zeichnet er eine düsteres Konsequenz der allgemeinen Bezahlunfreudigkeit.

Ein Freund von ihm, sagt er, habe das schön auf den Punkt gebracht: "Erst wenn die letzte Datei gerippt und der letzte Code geknackt ist, werdet Ihr sehen, dass Ihr nicht 24 Stunden am Stück Phil Collins hören wollt." Will jetzt auch schon niemand. Denn noch gibt es Bands wie Element of Crime. Nicht mehr unbedingt klein, mittlerweile sogar weit entfernt vom Insidertipp, aber immer noch verschroben, uneben und authentisch. Die sind ihren Preis wirklich noch wert.

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