Comicband Gorillaz berauscht ihre Fans

Berlin (dpa) - Sie sind eine Comic-Band, aber die Musik ist mehr als echt. Die Gorillaz haben bei ihrem einzigen Tour-Stopp in Deutschland tausende Fans in einen Zustand der angenehmen Reizüberflutung versetzt.

Der Band-Erfinder, Britpop-Pionier Damon Albarn (42), war am Sonntagabend im Berliner Velodrom der gefeierte Zeremonienmeister für ein zwei Stunden langes Spektakel, das einer Mischung aus Konzert, Kurzfilmfestival, Musical und Performance glich.

Auf der Leinwand laufen Comics mit den Gorillaz-Figuren, Animationen und Videos. Dazu spielen an die 20 Musiker, darunter Neneh Cherry, De La Soul, Bobby Womack sowie die Clash-Veteranen Mick Jones und Paul Simonon. Die Spanne reicht von Hip-Hop, Dub über Elektronisches bis zu Bläsern aus Chicago und Weltmusik aus Syrien. Und von alten Hits wie „Clint Eastwood“ und „Feel Good Inc.“ bis zu Neuem wie dem schnulzig-schönen Popfetzen „On Melancholy Hill“. Im Video zu „Stylo“ zückt Bruce Willis die Knarre und zielt auf die Comic-Helden.

Ex-Blur-Sänger Albarn hat sich die Gorillaz vor gut zehn Jahren gemeinsam mit „Tank Girl“-Zeichner Jamie Hewlett ausgedacht - eine virtuelle Band, die den Kult um Musiker unterwandert. 20 Millionen Platten sollen die Briten schon verkauft haben. Albarn gilt als der neue David Bowie, ein Kreativling, der Opern schreibt und sein nächstes Album angeblich mit dem iPad aufgenommen hat.

In der Comic-Welt ist er der zahnlückige Musiker 2-D, der statt eines Hirns nur ein Blatt Papier im Kopf haben soll. „Die Leute denken, er ist cool und geheimnisvoll, dabei hat er nur Migräne“, heißt es über 2-D. Jamie Hewlett grummelt als Bandchef Murdoc vor sich hin und zerlegt die Garderobe. Auf der Leinwand wohlgemerkt.

Während der Show sitzt Albarn im Ringelhemd am Klavier, singt ins Megafon und erfreut die Zuschauer mit Deutschkenntnissen: „Jetzt, wir sind Berliner.“ Er hüpft, ballt die Fäuste, das Publikum tobt. Seine Stimme klingt wie zu Blur-Zeiten. Die Musik mäandert von Genre zu Genre, für Nostalgie und Schubladen ist kein Platz.

„Plastic Beach“ heißt das dritte Album der Band, auf dem auch Lou Reed zu hören ist. Die Show beginnt mit einem Flug zu einer Pazifik-Insel, die auf einem Müllberg aus dem Meer ragt. Tanzende Derwische, abgeschossene Flugzeuge, Revolver und Fast Food flimmern über die Leinwand. Es geht um Gewalt, Krieg und Überfluss. Eine gelbe Flüssigkeit rinnt in den Badewannenabfluss, zwei Bierflaschen rollen ins Bild: Das könnte auch als Video-Installation im Museum stehen.

Der Blick springt zwischen Bühne und Leinwand hin und her. Alles passiert gleichzeitig. Der Zuschauer im Jahr 2010 ist eigentlich ans Multitasking gewöhnt: Neben klassischen Konzert-Tätigkeiten, wie Biertrinken und heimlich am Joint ziehen, tippt er nebenher SMS und hält das Handy zum Filmen in die Höhe.

Aber die Gorillaz-Show setzt noch eine Dimension dazu. Selbst bei abgestandener Cola und mit Ohrstöpseln gegen die dröhnenden Bässe ist es ein berauschender Abend. Wie aus einem Comic-Heft gefallen, taumeln die Zuschauer leicht benebelt in die kalte Herbstnacht.

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