Asaf Avidan: Wie der Zufall einen Star macht

Ein vier Jahre alter Song von Asaf Avidan wurde als Remix im Spätsommer zu einem der größten Hits des Jahres. Jetzt präsentiert der Israeli aktuelles Material. Ein Gespräch.

Düsseldorf. Herr Avidan, erstaunt es Sie, dass Sie ausgerechnet mit einem Ihrer älteren Songs in diesem Jahr international bekannt geworden sind?

Avidan: Der Erfolg hat mein Leben auf den Kopf gestellt. Den „Reckoning Song“ schrieb ich bereits 2008, das war eine ganz andere Zeit. Ich habe erst vor sechs Jahren mit der Band The Mojos angefangen, Musik zu machen. Nachdem wir zusammen drei Alben gemacht hatten, lösten wir uns 2011 auf. Das musikalische Genre, das ich beackere, kann man grob mit Folk, Blues und Rock umschreiben. Auf meinem ersten Soloalbum verarbeite ich all die verrückten Erlebnisse des vergangenen Jahres.

Wie kam es zu dem Remix, der wochenlang auf Platz eins war?

Avidan: Ich muss gestehen, dass ich zuerst gegen diese Bearbeitung war. Damals erhielt ich über Facebook eine Nachricht von einem jungen Typen aus Berlin, der sich DJ Wankelmut nannte. Er hatte ohne meine Erlaubnis einen Remix gemacht. Ob er mir gefalle, wollte er wissen. Ich erwiderte: „Klingt ganz hübsch, entspricht aber eher nicht meinem Stil.“ Zwei Monate später begann genau dieser Remix sich wie ein Virus zu verbreiten. Inzwischen habe ich akzeptiert, dass man meine Songs auf ganz verschiedene Weisen interpretieren kann. Sie werden dadurch nicht schlechter.

Ihre androgyne Falsettstimme wurde mit Janes Joplin verglichen. Mögen Sie das?

Avidan: Ich habe mich inzwischen daran gewöhnt und empfinde es sogar als Kompliment. Meiner Meinung nach gab es keine bessere Sängerin als Janis Joplin. Aber ich habe mich weiterentwickelt, und heute glaube ich, einen eigenen Stil zu haben.

Wie haben Sie zu diesem Stil gefunden?

Avidan: Ich habe mir eigentlich alles selbst beigebracht. Ich bin in keiner Szene groß geworden, ich hatte früher nie Musikerfreunde. Vor meiner Karriere arbeitete ich als Animateur. Als dann eine sechsjährige Beziehung zu einer Frau auseinander brach, fiel ich in ein Loch. Ich suchte verzweifelt nach einem Ventil für all diese aufwühlenden Gefühle, die unbedingt raus wollten. Irgendwann fing ich einfach an, Musik zu machen. Und zwar sehr leidenschaftlich. Dieses Urgefühl habe ich mir bis heute bewahrt.

Ist es für Sie etwas Besonderes, auf deutschen Bühnen zu spielen?

Avidan: Als ich das erste Mal nach Deutschland kam, war es wirklich etwas Besonderes. Es gab kaum ein Gespräch, bei dem man nicht auf die 30er und 40er Jahre des vergangenen Jahrhunderts und die Geschichte zwischen unseren Ländern kam. Aber ich finde, jetzt sollten wir es gut sein lassen. Meine Generation ist die dritte nach dem Holocaust, wir leben im Jahr 2012.

Kann man in Israel leben und keine politischen Songs schreiben?

Avidan: Ich wünschte, ich könnte solche Songs schreiben, denn ich habe eine Meinung zu politischen und gesellschaftlichen Dingen in unserem Land. Meine jüdisch-israelischen Wurzeln sind ein prägender Teil von mir. Aber als Künstler widme ich mich lieber universelleren Fragen: Was bedeutet Liebe? Warum sind wir hier? Was ist der Sinn des Lebens? Trotzdem schließe ich es nicht aus, eines Tages mit derselben Leidenschaft auch politische Songs zu schreiben.

Wie fühlt es sich an, in einem permanenten Krisenherd zu leben?

Avidan: In meiner Jugend war mir überhaupt nicht bewusst, in was für einem kaputten Land ich lebe. Die Situation in Israel ist ein Albtraum, ohne Frage. Und dennoch kann man in Tel Aviv ein ziemlich normales Leben führen. Israel ist ein demokratisches Land, ich kann tun und lassen, was ich will. Wenn ich auf eine Demo gehen und Politiker kritisieren will, dann tue ich das auch. Ich hoffe von Herzen, dass unsere gegenwärtige konservative Regierung nicht von Dauer sein wird.

Inwieweit können Künstler zu einer friedvollen Lösung eines gewaltsamen Konflikts beitragen?

Avidan: Musik ist eine Sprache. Und was kann besser sein als eine Sprache, die dabei hilft, Gegner zusammenzubringen? Ich selbst bin zwar kein Sänger der „Love-&-Peace“-Generation. Aber wenn ich mir meine Facebook-Seite anschaue, dann entdecke ich auch Nachrichten von Menschen aus dem Iran und aus Ramallah, die meine Musik mögen.

Verstehen Sie sich als Botschafter der israelischen Kultur?

Avidan: Das ist das Letzte, was ich jemals sein wollte — hätte ich Ihnen auf diese Frage noch vor zwei Jahren geantwortet. Aber seitdem hat sich viel verändert. Ich stehe heute zu meiner Herkunft. Überall, wo ich hinkomme, werde ich als Israeli gesehen. Wobei ich selbst gar nicht zwischen Nationalitäten unterscheide. Die Kulturen gleichen sich doch immer mehr an. Wenn ich ein Botschafter Israels sein soll, dann einer, der jegliche Grenzlinien abschaffen möchte.

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