Auszeit im Kloster Münchner „Tatort“: Sterben hinter frommer Fassade

MÜNCHEN · In der „Tatort“-Folge „Wunder gibt es immer wieder“ nehmen die Münchner Kommissare im Kloster eine Auszeit von der Großstadt.

 Ivo Batic (Miroslav Nemec, links) und Franz Leitmayr (Udo Wachveitl) verhören Schwester Antonia (Maresi Riegner) in einer Szene aus „Tatort: Wunder gibt es immer wieder“. 

Ivo Batic (Miroslav Nemec, links) und Franz Leitmayr (Udo Wachveitl) verhören Schwester Antonia (Maresi Riegner) in einer Szene aus „Tatort: Wunder gibt es immer wieder“. 

Foto: dpa/Hendrik Heiden

Die Kirchen erleben zurzeit nicht nur eine Austrittswelle, sondern „in der ganzen nördlichen Hemisphäre ein Klostersterben enormen Ausmaßes“. Das sagte kürzlich Katharina Ganz, die Generaloberin der Oberzeller Franziskanerinnen, in einem Interview. Vor zwei Jahren verließen auch die Mönche des Karmeliterordens das Kloster Reisach im oberbayrischen Oberaudorf. Was mit der im Unteren Inntal gelegenen Anlage geschehen soll, ist noch offen. Im Juli immerhin fand das Kloster eine vorübergehende Bestimmung als Schauplatz von Dreharbeiten: Die Münchner „Tatort“-Kommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) nehmen mit der Folge „Wunder gibt es immer wieder“ eine Auszeit von der Großstadt.

Allerdings ist das Kloster Reisach in dem Film von Alex Buresch, Matthias Pacht (Drehbuch) und Maris Pfeiffer (Regie) von Nonnen bevölkert, wobei „bevölkert“ ziemlich übertrieben ist. Nur noch sieben Frauen leben offiziell in dem weitläufigen Kloster. Es mangelt an Nachwuchs, immerhin senkt Schwester Antonia (Maresi Riegner) als Novizin den Altersschnitt beträchtlich. Dem Kloster droht aufgrund der Personalnot die Schließung, was einige Nervosität in der von Schwester Barbara (Corinna Harfouch) geleiteten Gemeinschaft verursacht. Und dann endet die Bahnreise des Wirtschaftsprüfers auch noch mit dem Ableben desselben. Wie es scheint, schlummerte der mit Heiligenbildern, Postkarten vom Kloster und 10 000 Euro in bar ausgestattete Stefan Lechner (Richard Hentschel) friedlich ein, ehe sein Tod im Münchner Hauptbahnhof entdeckt wurde. Doch es finden sich nicht nur gebrochene Rippen, sondern bei der Obduktion auch Spuren des Gefleckten Schierlings im Körper des Opfers. Nicht überraschend, dass die giftige Pflanze auch im klösterlichen Kräutergarten zu finden ist.

Mit Katja Ebstein hat die Episode aus den bayerischen Voralpen also herzlich wenig zu tun. Aber wunderlich ist so einiges am klösterlichen Leben, das vom mehrfach ausgezeichneten Kameramann Alexander Fischerkoesen sehr stimmungsvoll in Szene gesetzt wurde. Die langen Flure, die spartanischen Räume, die Gebete und Gesänge der Ordensschwestern und nicht zuletzt der von Schwester Julia (Christiane Blumhoff) kredenzte Mönchsbeutel-Tee drücken Ivo Batic derart aufs Gemüt, dass er in der Nacht von finsteren Träumen und Vorahnungen heimgesucht wird, während es im blühenden Klostergarten vor herrlichem Alpenpanorama eher nach Sommerfrische duftet. Drinnen ist die Stimmung angespannt, denn die Gemeinschaft der Nonnen steht unter doppelter Beobachtung: Kurz nach den Kommissaren aus München treffen noch zwei Gesandte des Vatikans ein, die in einer „kircheninternen Angelegenheit“ unterwegs sind, wie es geheimnistuerisch heißt. Es dauert eine Weile, ehe Batic und Leitmayr auf etwas tollpatschige Weise herausfinden, was damit gemeint ist.

In Verdacht gerät erst einmal Hausmeister Friedrich Neubauer (Aurel Manthei), der unter anderem wegen Totschlags vorbestraft ist und Wirtschaftsprüfer Lechner vor der Abfahrt am Bahnhof vermöbelt hat – auf offener Straße und vor der Linse einer Überwachungskamera. Auffällig aufgebracht verhält sich auch sein junger Helfer Sandro (Samuel Benito), der ein Auge auf Schwester Antonia geworfen hat. Diese Nebenschauplätze wirken wie Ablenkungsmanöver, aber am Ende fügt sich doch alles einigermaßen sinnvoll zusammen. Hochspannenden Thrill liefert der Film nicht gerade, dafür gediegene Krimi-Unterhaltung an einem ungewöhnlichen Schauplatz.

Drehbuch und Regie vermeiden es zudem, die Ordensgemeinschaft als verstaubtes Kloster-Klischee von Vorgestern in Szene zu setzen. Schwester Angela (Ulrike Willenbacher) zum Beispiel, die „Finanzministerin“, sorgt mit einem florierenden Online-Handel für zusätzliche Einkünfte. Auch sonst verbirgt sich hinter der stillen, frommen Fassade ein beachtlicher Einfallsreichtum. Und über Humor verfügen diese Nonnen auch: Die siebte Schwester, Johanna, befinde sich zur „inneren Einkehr“ im Mutterhaus, wird den Kommissaren mitgeteilt. Johannas Einkehr ist allerdings von der Art, von der niemand mehr zurückkehrt.

Theologische Tiefe oder religiöse Erbauung werden hier nicht geboten. Bei Leitmayr wäre das ohnehin zwecklos. „Glauben Sie an Gott?“, fragt Schwester Jacoba (Petra Hartung). „Nee“, antwortet der Kommissar umgehend und setzt sogar vorlaut nach: „Und Sie?“ Aber die nächste Frage bringt ihn doch aus dem Konzept. Ob er glücklich sei, will Jacoba wissen. Da wiegt Leitmayr nur unentschlossen den Kopf. 

„Tatort – Wunder gibt es immer wieder“, ARD, 19. Dezember,
20.15 Uhr

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