Was guckst du? Die unartige art Karlsruhe

Karlsruhe (dpa) - Hingegossen liegt sie da wie ein zerschmolzenes Atom, die Glieder knallbunt von sich gestreckt. Fröhliche Optik auf den ersten Blick. Dennoch ist die Ausstrahlung der Filzskulptur „Reaktor“ bedrohlich und - obwohl zwei Jahrzehnte vor der Reaktorkatastrophe von Fukushima entstanden - beklemmend aktuell.

Das Werk von A. R. Penck schmückt einen von 20 Skulpturenplätzen auf der diesjährigen art Karlsruhe.

„Mich hat das immer so genervt, wenn ich auf anderen Kunstmessen Schuhkarton nach Schuhkarton ablaufen musste“, erzählt Kurator und art-Gründer Ewald Karl Schrade. Und so sind die Skulpturenplätze auch in diesem Jahr Ruhepunkt und Aufreger zugleich. Wer durch die Galeriegassen schlendert, über sich das Tageslicht der großen Ausstellungshallen in Rheinstetten, kommt sich vor wie beim Gang durch das Zentrum einer Metropole.

Die „Alleen“ mit Bildern und Plastiken öffnen sich irgendwann immer zu einem Platz: geben den Blick frei auf eine rostige Hundemeute, die mit geifernden Lefzen über eine imaginäre Eisplatte hechelt. Führen zu einem riesigen hölzernen „Phalli-Haufen“, auf dem Glied um Glied sich zu einem verkohlten Stapel schichtet. Konfrontieren mit einer meterhohen, quietschroten Holzskulptur des belgischen Künstlers Arne Quinze. „My home“ steht in Leuchtschrift auf den zerborstenen Balken. Heimelig. Trostlos auch.

Die Messe überzeugt erneut mit ihrem Mix aus großen, bedeutenden Werken der Klassischen Moderne und frischen Positionen neuer Kunst. Kindlich, gewagt, fulminant; düster, eindringlich, kraftvoll werden rund 30 000 Kunstwerke von rund 1500 Künstlern präsentiert. 222 Galerien aus zwölf Ländern sind vertreten, rund 150 mussten abgelehnt werden.

Schrades Konzept - von Anfang an unverändert - überzeugt Galeristen, Künstler und Sammler seit neun Jahren. Längst ist die art Karlsruhe, allen anfänglichen Unkenrufen zum Trotz, neben der art Cologne und der art Basel zur bedeutendsten Kunstmesse im deutschsprachigen Raum geworden. Von diesem Donnerstag bis Sonntag öffnet sie ihre Pforten.

Hingucker gibt es wie immer viele. Spektakulär ist die Installation „The Army of Luck - The Global Pursuit of Happiness“. Wie auf einer Tribüne sitzen dort 13 mal 40 japanische Glückskatzen und winken als bombastische, gespenstisch-goldglänzende Glücksarmee stereotyp ins Nichts. Der Clou: Per Computer können 60-Zeichen-Botschaften eingegeben werden, die in die Winkbewegung übertragen als Laufschrift für die Besucher lesbar sind. Rund 220 000 Euro teuer gehört das Werk des Konstanzer Künstlers Boris Petrovski schon zum mittleren Preissegment der art.

Wer nichts kaufen kann, läuft durch die Messe wie durch ein Museum - auch dies ausdrücklich beabsichtigt von Kurator Schrade. Bestaunt unverkäufliche Pop-Art-Bilder aus der Sammlung von Gunter Sachs. Bewundert etwa das Gemälde „Sertigweg“ von Ernst Ludwig Kirchner für für 2,1 Millionen Euro. Betrachtet einigermaßen schockiert ein auf dem Kopf stehendes Porträt einer Frau, deren blutroter Nagellack sich in einen langen, fünffingrigen Blutstrom aus Samt verlängert.

Bleibt schließlich stehen vor einem Werk der Strickkünstlerin Patricia Waller: Mitsamt Quietscheentchen sitzt dort kein geringerer als Ernie aus der Sesamstraße, sichtlich mitgenommen als Penner mit Hut. Dort eine Münze hineinzuwerfen, wäre allemal drin.

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