Ruhr 2010: Design aus der Trinkhalle

Gespräche über Kunst, Suche nach Objekten: Projekt macht Kioske zu Klein-Galerien.

Bochum. "Pottlappen" aus alten Baumwoll-Zechenhandtüchern ("für wenn der Pott kocht"), eiförmige Kettenanhänger aus Kohlen- und Goldstaub ("abriebfest") und ein Kaffeebecher, der aussieht wie eine Turbine - hochwertige Mitbringsel mit Ruhrgebietsflair und möglichst von Hand gefertigt gab es bisher kaum.

Im Rahmen von Ruhr.2010 hat das Projektbüro in Bochum in einem Wettbewerb 30Gegenstände ausgewählt und vertreibt sie mit ihrem Projekt "Designkiosk" bis zum 1. August in normalen Trinkhallen. Dazu gehört nicht nur Ruhrpott-Nostalgisches, sondern auch modernes Zubehör wie eine USB-Vase.

Die Nachfrage übersteigt jede Erwartung. Einige Künstler, zum Beispiel die "Pottlappen"-Produzentin Barbara Lange aus Essen, machen buchstäblich Nachtschichten, sagt Projekt-Autor Sigurd-Christian Evers. Viele Stücke sind zeitweise ausverkauft, kein Kiosk hat das ganze Sortiment - das ist beabsichtigt: "Die Leute sollen suchen. Auf dem Weg von Kiosk zu Kiosk lernen sie das Ruhrgebiet kennen - und die Menschen, die jeden Tag an ihrer Bude stehen", sagt Projekt-Autorin Silke Seibel.

Manches Stück ist auch eine Provokation für Menschen, die ein knappes Gehalt mit körperlicher Arbeit verdienen oder von Hartz IV leben - etwa die "Ruhrsteine" der Designer Fabian Baumann und Sönke Hoof: flache Steinimitate aus Beton mit eingegossenem Wegwerfsymbol.

"Zum Ditschen übers Wasser der Ruhr", empfehlen die Künstler - fünf Steine für 19,90 Euro. "Wat isn dat fürn Scheiß", fragen manche Kunden am Kiosk von Jürgen Richter (50) im Essener Norden. "Ach, Du hast doch keine Ahnung", sagt dann nach Richters Erfahrung irgendwer. Und schon diskutiert die Bude über Kultur.

An den Theken treffen design-affine Touristen aus ganz Deutschland auf Bauarbeiter und Arbeitslose - gegenseitiges Unverständnis eingeschlossen. "Das ist mir grad ein bisschen viel Kultur hier", sagt eine Stammkundin in Almuth Boyens Kiosk in Oberhausen, als mehrere Interessenten nach den Designstücken fragen.

Das große Geschäft bringen die Plexiglasständer mit der Designware in roten Pappschächtelchen nicht, da sind sich alle Kioskbetreiber einig. Für den Umsatz sorgen andere Waren - bei Boysen gut bestückte Präsentkörbe mit Hochprozentigem, bei Richter das umfangreiche Sortiment schwarz-rot-goldener WM-Devotionalien. "Designkiosk" bringt anderes: Aufmerksamkeit von außerhalb und ein neues Selbstbewusstsein. "Meine Stammkunden sind stolz, dass wir der einzige Designkiosk in Oberhausen sind", sagt Boysen.

"Diese Region soll erst mal selbst merken, was sie für ein reiches Kulturangebot hat", sagt Evers. Die immer wieder eingeforderte "Strahlkraft nach außen" kommt dann von selbst. Um weiter entfernte Ruhrgebietsfreunde nicht zu sehr zu benachteiligen, bietet die Kulturhauptstadt - entgegen der ursprünglichen Idee - die Kunstwerke auch zur Bestellung im Internet an, die Auslieferung kann aber bis Herbst dauern.

Für das mit Abstand beliebteste Designstück, den "Pottlappen", steht dort derzeit aber "ausverkauft", obwohl Produzentin Barbara Lange schon ihre Tochter als Verstärkung zur Lappen-Anfertigung herangeholt hat.

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