Pionierinnen der Avantgarde wiederentdeckt

Düsseldorf (dpa) - Sie trugen kurze Haare, finanzierten sich selbst, hatten mal weibliche, mal männliche Geliebte und bewegten sich inmitten der Avantgarde-Zirkel in den Hauptstädten Europas. Doch in der Kunstgeschichte haben nur wenige westeuropäische Pionierinnen der Avantgarde Spuren hinterlassen.

Eine Ausstellung in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf stellt ausschließlich die weibliche Seite der Kunstrevolten der 20er und 30er Jahre in den Mittelpunkt (22. Oktober bis 15. Januar).

Der Titel der Schau „Die andere Seite des Mondes“ wurde vom Kunstmagazin „Art“ in die Riege der 20 „weltabgewandtesten Ausstellungstitel 2011“ gewählt. Zumindest erinnert der etwas sperrige Titel daran, dass die Künstlerinnen der Zwischenkriegszeit zumeist nicht im hellen Licht des Erfolgs standen. Dort tummelten sich die Männer. Den Vergleich mit Männern sucht die Schau nach den Worten der Kuratorin Susanne Meyer-Büser allerdings bewusst nicht.

Die Schweizerin Sophie Taeuber-Arp segelte im Windschatten ihres Mannes Hans Arp, obwohl sie als eine Schlüsselfigur der Dada-Bewegung gilt. Radikal war ihre geometrisch-abstrakte Kunst, die sie auch in Glasperlenwebereien, Pompadour-Täschchen und futuristischen Marionetten umsetzte. Aber Kunsthandwerk wurde auch belächelt.

Die Avantgarde-Frauen trumpften nicht wie die Männer mit großen Formaten auf. Wer durch die Ausstellung mit 230 Werken geht, dem sticht kein Bild unmittelbar ins Auge. Man muss schon nahe an die kleinen Formate herangehen, um etwa bei der dadaistischen Collagen-Künstlerin Hannah Höch die grotesken Gesellschaftsszenen oder ironischen Porträts zu erkennen, die sich kritisch mit der Rolle der Frau auseinandersetzen.

Das Beispiel Dora Maar, langjährige Freundin Picassos, zeigt, was passiert, wenn eine Frau ihre Eigenständigkeit aus Liebe zu einem Mann aufgibt. Maar war eine erfolgreiche Fotografin, deren surrealistische Bilder, aber auch Aufnahmen von Straßenkindern die dunklen Zonen der menschlichen Seele thematisieren. Für Picasso gab sie die Fotografie auf und wurde eine wenig erfolgreiche Malerin. Unbestritten ist indes der Status von Sonia Delaunay. Zusammen mit ihrem Ehemann Robert Delaunay feierte sie Erfolge. Und als Roberts Stern zu sinken begann, legte Sonia als Modedesignerin richtig los.

Männer prägten im Westen die Zirkel der Avantgarde - allen voran André Breton als Kopf der Surrealisten. Anerkennung fand in seinen Augen nur Claude Cahun. Die Antifaschistin, Lesbin und Jüdin stellte sich in radikalen Selbstporträts mit geschorenem Kopf als androgynes Wesen dar - und wurde nicht zuletzt wegen der Doppeldeutigkeit ihres Namens oft für einen Mann gehalten.

Auch mit Klischees will die Ausstellung aufräumen: So schuf nicht Luis Buñuel mit seinem „andalusischen Hund“, sondern Germaine Dulac mit dem 40-minütigen Streifen „Die Muschel und der Kleriker“ den ersten surrealistischen Film.

Anders als im Westen prägten in Moskau Frauen wie Natalja Gontscharowa oder Ljubow Popowa selbstverständlich die revolutionären Umbrüche der Kunst mit und sind dafür bis heute anerkannt. Der Bezug zu den russischen Künstlerinnen fehlt in der Ausstellung weitgehend, denn dies hätte nach Angaben der Kuratoren den Rahmen gesprengt. Eine spannende Wiederentdeckung sind jedoch die abstrakten Raumskulpturen der in Vergessenheit geratenen Bildhauerin Katarzyna Kobro.

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