Pinsel statt Skalpell - Wenn Ärzte Kunst machen

Ulm (dpa) - „Eine weiße Leinwand ist wie ein Bauch, den man aufschneidet. Man weiß nie, was einen erwartet und was am Ende dabei rauskommt.“ Lothar Kinzl ist Chirurg - und Maler.

Pinsel statt Skalpell - Wenn Ärzte Kunst machen
Foto: dpa

Wenn der 71-Jährige über seine Kunst spricht, spiegeln sich auch immer 41 Jahre Berufserfahrung als Arzt wider. Mit seinen Acryl- und Aquarellfarben konstruiert Kinzl harmonische Landschaften. Am liebsten malt er mit Blau und Rot. „Diese Farben sind so wunderbar komplementär. Rot für Energie und Wärme. Blau beruhigt und steht für Sehnsucht und Ferne.“

Kinzl stellt seine Malereien derzeit aus, „Farben am See + anderswo“ heißt die Schau an der Herzklinik in Ulm. Er ist nicht der erste Arzt, der nicht nur zum Skalpell, sondern auch zum Pinsel greift. Mit der Galerie „Ärztliche Kunst“ bietet die Klinik Ärzten seit zehn Jahren ein Podium für ihre Arbeiten. Dreimal jährlich wird die Klinik von Winfried Haerer zum Kunstraum. „Das ist auch Abwechslung für unsere Patienten auf den Wartestühlen“, erklärt er.

Dass sich Mediziner in ihrer Freizeit der Kunst widmen, sei nichts Außergewöhnliches. „Leider denken viele Kollegen, dass ihre Werke nicht gut genug für die Öffentlichkeit sind. Das wollen wir mit unserer Galerie ändern.“ Die Galerie „Ärztliche Kunst“ präsentiert die verschiedensten Exponate der Künstler: Öl- und Acrylmalereien, Skulpturen aus Holz und etwa Vinorelle - dabei werden Bilder mit Wein hergestellt.

Auch anderswo toben sich Mediziner künstlerisch aus. Peter Erdmenger schuf bereits 1988 mit der Ausstellung „Medizin & Malerei“ eine Projektionsfläche für ärztliche Kunst. Der pensionierte Allgemeinarzt kommt aus Köthen in Sachsen-Anhalt. Erdmenger blickt skeptisch auf die Zukunft seiner Schau. Ärzte hätten zu wenig Zeit. „Zu viel Bürokratie und die Überbelastung junger Ärzte erschweren die Suche nach einem Nachfolger, der meine Aufgabe übernimmt.“

Einigen Medizinern dient die Kunst als Ausgleich zu ihrer Arbeit. „Ein Arzt verpflichtet sich dem absoluten Realitätsbezug“, sagt Kinzl. Als Künstler dürfe man hingegen sich selbst und seinen individuellen Sinneseindrücken freien Lauf lassen, erzählt er. Wie viele Ärzte sich künstlerisch betätigen, ist unklar. Oliver Erens, Sprecher der Landesärztekammer Baden-Württemberg, vermutet allerdings, dass der Prozentsatz der Künstler unter den Ärzten ähnlich hoch ist wie in der übrigen Bevölkerung. „Ich glaube nicht, dass die Ärzteschaft eine besondere Affinität zur Kunst hat.“

Eigentlich im Ruhestand, kann der Chirurg Lothar Kinzl doch nicht ganz die Finger vom Skalpell lassen. In Kairo an der Azhar-Universität wird er weiter gebraucht. Seit 18 Jahren betreut er bereits die Medizinische Fakultät in Ägyptens Hauptstadt. „Die Ärzte legen mir Patienten auf den Tisch, die sie sich selbst nicht trauen zu operieren.“

Das künstlerische Schaffen hilft seiner Meinung nach auch im Job. „Wer die Kunst liebt, hat ein ästhetisches Empfinden und wird auch mit Menschen anders umgehen“, findet er. Man müsse eine Harmonie in die Arbeit bringen, egal ob als Arzt oder Künstler. „Man kann operieren wie eine Sau oder ästhetisch genau arbeiten.“ Inspirieren lässt sich der Hobby-Maler am Bodensee oder im italienischen Künstlerdorf Dolceacqua - einer kleinen Gemeinde in der Provinz Imperia. Dort findet er Entspannung und beobachtet die verschieden Stimmungen des Wassers. Er will Skalpell wie Pinsel weiter treubleiben.

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