Kaiser sortiert sein Reich: Alles neu im Museum Ludwig

Der junge Direktor holt in dem Kölner Museum zum anregenden, kreativen Rundumschlag aus.

Köln. Er sei ganz pragmatisch an die neue Aufgabe herangegangen, sagt Philipp Kaiser, seit 1. November 2012 Direktor des Kölner Museums Ludwig: „Um die Sammlung zu durchforsten, bin ich in den Keller gestiegen und habe die ganzen Leichen exhumiert.“ Davon hat er eine Menge gefunden — und die zeigt der 41-jährige Schweizer in seiner ersten Ausstellung, seitdem er vor fast einem Jahr den Chefsessel von dem nicht nur in Köln überaus beliebten Kasper König (69) übernommen hat. Rund ein Drittel der etwa 600 präsentierten Werke wurde aus dem Depot hochgeholt.

Zur Vorbereitung der neuen Sammlungspräsentation wurde das Museum zuletzt sogar für fünf Wochen komplett geschlossen. „Not yet titled. Neu und für immer im Museum Ludwig“ nennt Kaiser seine Schau selbstironisch, in der er auf fast 8000 Quadratmetern zum kreativen Rundumschlag ausholt. Schluss mit der tradierten, übersichtlichen Zuordnung von Stilrichtungen und Räumen — hier die Pop-Art, da die Surrealisten und dort die Expressionisten.

Stattdessen gruppiert er Werke so, dass sich von selbst Verbindungen erhellen, sie quasi in einen Dialog treten. Das ist nicht immer übersichtlich, fördert aber die Entdeckerfreude. Wie witzig fügen sich Fernand Légers Arbeiter auf dem Sonntagsausflug zu Roy Lichtenstein, wie sinnig spiegelt sich der Dada-Künstler Kurt Schwitters in den Pop-Art-Größen Robert Rauschenberg und Jasper Johns. „Wir schreiben die Kunstgeschichte neu“, sagt Kaiser selbstbewusst — nicht weil er schlauer wäre als all seine Vorgänger, sondern weil sich der Blick auf die Kunst ohnehin ändere: „Die Kriterien wandeln sich ständig.“

Die beiden Stifter Peter Ludwig (1925-1996) und Irene Ludwig (1927-2010) hätten eben nicht nur Pop Art, Konstruktivismus und Picasso gesammelt, sondern so viel mehr — Konzept-Arbeiten und Werke des Minimalismus, sagt Kaiser. Das auffälligste Werk, das nach Jahren wieder gezeigt wird, ist die turnhallengroße Sound-Installation von Barbara Kruger, in der riesenhaft vergrößerte Zeitungsfotos und sektenhafte Appelle („Glaub wie wir“, „Sieh aus wie wir“, „Hasse wie wir“) dominieren, während der Besucher mit Politiker-Phrasen und Jubelgeheul beschallt wird: Eine Demontage moderner Medienbilder, jedoch ohne eindeutige Botschaft.

Um für solche Werke Platz zu gewinnen, verschwindet vorübergehend sogar ein Schlüsselwerk wie „Die Jungfrau züchtigt das Jesuskind“ von Max Ernst im Depot. Andere bekannte Schwerpunkte hat der neue Direktor nicht angetastet, etwa die Picasso-Räume mit Gemälden und Keramiken im ersten Stock, ergänzt sie allerdings durch Werke der US-Künstlerin Louise Lawler.

Ihre Fotos bekannter Kunstwerke, die sie bei Sammlern oder beim Aufbau von Ausstellungen macht, verdeutlichen, dass ein Bild nicht nur durch sich selbst wirkt, sondern auch durch die Umgebung, in der es hängt. Wenn Gerhard Richters nackte „Ema“ — eines der bekanntesten Bilder des Museums — quer an der Wand lehnt, hält sich dessen Zauber plötzlich in Grenzen.

Seine Hängung sieht Kaiser, der von 2007 bis 2012 am Museum of Contemporary Art in Los Angeles gearbeitet hat, keinesfalls „in Stein gegossen“, sondern von permanenter Vorläufigkeit — schon aus praktischen Konservierungsgründen. Denn in drei Monaten müssen Papierarbeiten und Fotos zurück ins lichtgeschützte Depot.

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