Joseph Beuys und die Krimtataren

Der Düsseldorfer Künstler schuf Legende als künstlerischen Akt.

Joseph Beuys und die Krimtataren
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Düsseldorf. Joseph Beuys und die Krimtataren — um einen der einflussreichsten Künstler des 20. Jahrhunderts und den muslimisch geprägten Volksstamm rankt sich eine Legende. Eine Geschichte, die oft als Begründung für Beuys’ künstlerische Vorliebe für Filz und Fett galt. Den Mythos hat der Künstler selbst geschaffen. Der aktuelle Konflikt zwischen Russland und der Ukraine hat auch die Krimtataren ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. In der Kunst ist das Turkvolk mit dem Düsseldorfer Künstler Beuys (1921-1986) eng verbunden.

Berühmt geworden ist die „Tatarenlegende“, wonach Beuys im März 1944 über der Krim abstürzte, lebensgefährlich verletzt und von Tataren aufgepäppelt wurde. Beuys wurde auf der Krim eingesetzt, um die dort eingekesselten Wehrmacht-Einheiten zu unterstützen. Sie waren nach Gefechten im Kaukasus auf die Halbinsel geflohen. Der Absturz, bei dem der Pilot ums Leben kam, ist historisch belegt. Doch der Bordfunker Beuys kam in Wahrheit mit einer Gehirnerschütterung glimpflich davon.

In der 2013 erschienen Biografie „Beuys“ untermauert der Autor Hans Peter Riegel die These, dass Beuys’ Rettung wohl nur eine Legende ist. „In den Wagenladungen von Literatur über Beuys sind durch unzählige, allzu gutgläubige Autoren Zuschreibungen und Mythologisierungen erfolgt“, sagte Riegel in einem Interview.

Riegel zitiert in seiner Biografie ein Beuys-Interview von 1976 mit Georg Jappe: „Das ist ja nun auch eine reale Sache gewesen. Ohne die Tataren wäre ich heute nicht mehr am Leben“, sagte Beuys damals. Auf Nachfrage habe er bestätigt, dass er zu seinen Arbeiten mit Filz und Fett durch die Tataren inspiriert worden sei. Sie hätten ihn mit diesen Materialien angeblich gesund pflegt. Die Tataren hätten Beuys unter den Trümmern seiner Maschine entdeckt. „Ich erinnere mich an den Filz, aus dem ihre Zelte gemacht waren. Sie rieben meinen Körper mit Fett ein, damit die Wärme zurückkehrt und wickelten mich in Filz ein, weil Filz die Wärme hält“, zitiert Riegel Beuys. Tatsächlich sei Beuys aber in ein nahe gelegenes Feldlazarett gebracht worden, schreibt der Biograf. Riegel stützt sich dabei auf einen Eintrag im Krankenbuch.

Dass Beuys es mit dem Unterschied zwischen Dichtung und Wahrheit nicht so genau nahm, wird ihm in der Kunstszene verziehen. „Dass er einen individuellen Mythos geschaffen hat, ist Teil seiner künstlerischen Arbeit“, sagt Bettina Paust, künstlerische Direktorin am Museum Schloss Moyland am Niederrhein. Die Materialien Fett und Filz tauchten als Thema bereits in früheren Beuys-Zeichnungen aus den 50er Jahren auf, sagt Paust. Der erste „Fettstuhl“ stammt von 1963, und dann ziehe sich das Thema durch sein gesamtes Werk.

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