Interview: Thomas Schütte - „Die Unfälle gehören dazu“

Bildhauer Thomas Schütte erhält am Freitag den Kunstpreis der Stadt Düsseldorf. Auch der Meister hat mit technischen Fehlern zu kämpfen.

WZ: Herr Schütte, Sie erhielten in Venedig den "Goldenen Löwen" für Ihr Lebenswerk. Dennoch wirkt Ihre Kunst häufig alternativ, kritisch, ironisch. In K21 hockt eine Figur auf dem Boden, und über ihr baumeln unzählige bunte Socken. Haben Sie ein Problem mit den Strümpfen, die nie zusammenpassen?

Schütte: Das sind alles meine Sportsocken aus den 70er Jahren. Und die Figur darunter ist das Alter Ego. Ich habe immer das Gefühl, die Socken verschwinden im Laufe der Zeit. 1988, als die Arbeit entstand, hatte ich schon ein bisschen Geld. Ich habe alle alten Socken in die Arbeit verwurstet und mir 20Paar neue gekauft.

WZ: Sie lieben nicht nur alte Socken, sondern auch alte Themen. Der "Mann im Matsch" begleitet Sie seit 28 Jahren. Wie kamen Sie dazu?

Schütte: Es war ein technischer Fehler, dass ein Wachsmännchen, meine allererste Figur, nicht auf seinen modellierten Füßen stehen wollte. Ich habe es kurzerhand in eine kleine Plastikschachtel gegossen.Es steckte fest in allerlei Matsch und Quatsch, aber trotzdem ging es weiter.

WZ: Haben Ihre Arbeiten häufig mit Fehlern, technischen oder sonstigen Katastrophen zu tun?

Schütte: Dafür habe ich mich eigentlich schon viel bewegt. Die Unfälle gehören dazu.

WZ: In Ihrer Geburtsstadt Oldenburg trägt Ihr Selbstporträt den Untertitel "Der Suchende". Außerdem hat die meterhohe Brunnen-Figur eine Wünschelrute, warum?

Schütte: Ab einem gewissen Alter braucht man Hoffnungen, die Desaster kommen von alleine.

WZ: Und was suchen Sie?

Schütte: Das Übliche. Ruhe und Frieden wünsche ich mir.

WZ: Den Frieden kriegen Sie vermutlich nicht mehr, weil Sie jetzt so berühmt sind...

Schütte: Das hält sich in Grenzen.

WZ: In Ihrer Ausstellung in der Bonner Bundeskunsthalle steht eine Figur, "Vater Staat". Wie kam es dazu?

Schütte: Es gab diverse Modelle für den "Mann im Matsch", aber dieses eine hatte ich vergessen und erst später in einem Regal wiederentdeckt. Die Gießerei Rolf Kayser hat die Figur ganz schnell geformt, gegossen, patiniert und hingestellt.

WZ: Die dunkle Bronze wirkt etwas unheimlich. Warum heißt sie "Vater Staat"?

Schütte: Das Modell war Wolfgang Schäuble wie aus dem Gesicht geschnitten. Es wurde bei der Bearbeitung immer ruhiger und jünger. Die Mütze habe ich drauf gemacht, damit ich keine Frisurprobleme habe. Jeder menschliche Kopf besteht ja zu drei Vierteln aus Frisur, aber es ist fast unmöglich, eine Frisur zu zeichnen oder zu modellieren. Die Hauptarbeit an einem Kopf ist nicht das Profil, sind nicht die Augen, die Nase und der Mund, sondern die Frisur. Und die haben wir durch die Mütze verschleiern können, so dass der gar keine Frisur braucht.

WZ: Warum ist "Vater Staat" im Bademantel?

Schütte: Das Mäntelchen hatte der schon im Modell, denn Knie und Bein sind schwierig zu machen. Die Schleife kam später hinzu.

WZ: Ihre Arbeit "Die Fremden" aus glasierter Keramik, die seit 1992 auf dem damaligen Kaufhaus Leffers in Kassel steht, wirkt sehr aktuell, weil sie die Migration thematisiert.

Schütte: Es war der erste Golfkrieg, als eine Million Kurden mit Sack und Pack über die türkische Grenze geflohen sind. Ich habe die Arbeit für Kassel gemacht, jahrzehntelang eine Frontstadt, wo alle Aussiedler ankamen. Da sahen sie die ersten Kaufhäuser, und das Durchgangslager war ja nicht sehr weit davon weg. Meine Frage lautete, ob die Fremden etwas wegnehmen oder etwas mitbringen. Ich habe mich mit mir geeinigt: Die bringen mehr als sie nehmen. Heute meint ja Thilo Sarrazin, den ich am liebsten Ekel Alfred nennen würde, die nähmen mehr weg als sie bringen. Das ist natürlich totaler Quatsch. Sie sind nicht wegzudenken aus der Kultur.

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