Ein Leben lang für Beuys

Johannes Stüttgen hat 31 Jahre lang an einem Mammutwerk gesessen. Es ist ein kiloschweres Meisterstück geworden.

Düsseldorf. Das Buch "Der Ganze Riemen" des Johannes Stüttgen über seinen Lehrer Joseph Beuys ist der helle Wahnsinn. 31 Jahre hat der einstige Schüler, Tutor, zeitweilig auch AStA-Sprecher der Düsseldorfer Kunstakademie an dem Mammutwerk gesessen. "Das war meine Lebensaufgabe, dieses Buch zu schreiben. Ich wusste von Anfang an, dass es meine Bestimmung war."

Stüttgen hat Theologie studiert, bevor er 1967 in die Beuys-Klasse wechselte und ihr Sprecher wurde. Ihm imponierte der Satz: "Gott ist ein Künstler, denn er formte den Menschen aus Erde." Später sollten er und Beuys aus der Kirche austreten.

Auf den ersten hundert Seiten beschreibt er aus der Sicht des neuen Studenten sein Erstaunen, das nie nachlassen sollte: "Ich wusste, dass ich mich mit den Ideen von Beuys zu befassen hatte. Ich habe ja deswegen meine eigene Arbeit im Vergleich zu meinen Kommilitonen zurückgestellt."

Stüttgen versteht sich als Künder - wie Beuys. "Kunst ist eine Botschaft", sagen sie beide im Buch. Der Schüler entwickelt sich zu einer Art Kriminalautor, der "den Auftritt als Lehrer" in Düsseldorf zwischen 1966 und 1972 akribisch verfolgt. Aktionen, Begriffe und Kunstwerke des Magiers mit Hut werden von verschiedenen Positionen aus beleuchtet. Auch die Kommilitonen kommen zu Wort, ist doch ein Lehrer bekanntlich nichts ohne seine Schüler.

Es gibt wunderbare Passagen, in denen Stüttgen die späteren Größen der Kunstgeschichte beschreibt: Jörg Immendorff steht frierend neben seinem Lidl-Haus aus Pappe, der Polizist Anatol fährt souverän mit dem Dienst-Motorrad über die Gänge der Akademie. Herrlich ist die Beschreibung von Katharina Sieverding: "Wo sie auftrat, war allein durch ihre Erscheinung Bühne, in der Akademie wie bei Festen und Vernissagen, im Creamcheese, hinter der Bar im Lover’s Club an der Kö, wo sie des Nachts ihr Geld für das Studium verdiente, schließlich sogar in einem Zirkus als Frau auf der Wurfmesserscheibe." Stüttgen ist fasziniert von ihr als "Künstlerin und Kunstwerk".

Der Autor hält in einer bedingungslosen Parteinahme zu Beuys, ist Dokumentarist, Freund und Sprachrohr. Er beantwortet Fragen zur Autonomie der Akademie, der Abschaffung des Einheitsstaates, der "absoluten Waffenlosigkeit", der "Erziehung des Menschen zur Mündigkeit durch Kunst" und zu Protesten und Querelen mit dem Staat. Beim Gespräch über den "erweiterten Kunstbegriff" schießt es aus ihm heraus: "Das ist die Bestimmung des Menschen zum Künstler. Es ist eine in sich stimmige Form, die ihre Gültigkeit aus ihren Gesetzen erhält, die sie sich selbst gibt." Dann schiebt er einen weiteren Satz hinterher: "Die Freiheit ist ja das große Geheimnis."

Die Documenta6 war 1977 beendet, als ein Verlag an Beuys herantrat und Beuys den "Auftrag" an Stüttgen weiterreichte. "Lass dir bloß viel Zeit", empfahl er seinem Meisterschüler.

Immer wieder scheiterte das Projekt, bis das Hessische Landesmuseum Darmstadt als Herausgeber einsprang. Da löste auch Walther König sein Versprechen ein und verlegte den "Ganzen Riemen", mit all den vielen Fotos, für die die Familie Beuys das Copyright frei gab. Nun liegt er vor, mehrere Kilogramm schwer. Eine Fundgrube von Geschichten und Geschichte. Einige Legenden werden entzaubert, etwa die von der Zerstörung des Nebelraums von Gotthard Graubner. 1972 wurde Beuys als Professor entlassen, und sein Aufstieg als Künstler begann.

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