Die Welt, in der wir leben

Das Museum Folkwang zeigt Fotografien von Joel Sternfeld.

Essen. Es war Anfang der 1970er Jahre, als US-Künstler begannen, die Reportagefotografie von ihrem ästhetischen Dogma zu befreien und in Farbe zu fotografieren.

Auch der junge Joel Sternfeld (geboren 1944 in New York) experimentierte damit, Menschen, Gebäude und Straßen in Farbe abzulichten. Er fotografierte bedeutende und weniger bedeutende Momente, die Landschaft und städtischen Alltag.

60 Fotografien aus diesem bislang unveröffentlichten Frühwerk bilden den Schwerpunkt seiner ersten europäischen Retrospektive im Essener Museum Folkwang.

Joel Sternfeld hat die alten Arbeiten selbst gesichtet, ausgewählt, geordnet — und ein wunderbares Panorama aufgeblättert. Er hat auf seinen Reisen quer durchs Land (wie manche Kollegen war auch er damals mit einem VW-Bus unterwegs) immer wieder amerikanische Befindlichkeiten, Menschen und Landschaften in den Blick genommen und mit diesen Bildern unübertreffliche Porträts einer Epoche geschaffen. Der Geist seiner großen Vorgänger Walker Evans und Robert Frank ist deutlich spürbar.

Mit der Serie „American Prospects“ (1978-84) gelang ihm 1987 der Durchbruch: Ein erschöpfter Elefant, der auf der Straße liegt, von einem Tornado verwüstete Vorstadthäuser, ein Familienausflug zu einem Staudamm, vor einem brennenden Haus stehen Kürbisse.

„Stranger Passing“ nimmt dann vermehrt Menschen in ihrer Umgebung ins Visier: Ein Mann sitzt mit seiner Tochter auf einem Mäuerchen, ein anderer steht mit einem ausgeblichenen Overall vor einer ausgeblichenen Wasserlandschaft, eine Frau nimmt ihr Kaninchen mit zum Einkaufen.

Die Bilder dieser Serien sind Sternfelds bekannteste Fotos. Doch er bleibt nicht stehen, sondern entwickelt neue Serien, verlagert die Schwerpunkte seiner Arbeit. Die Tatorte der grandiosen Serie „On This Site“ (1993-1996) zeigen keine Schreckensszenarien, sondern unauffällige Plätze. Doch wenn man weiß, welches Verbrechen hier geschehen ist, nehmen sie eine Bedeutung an, sieht man diese Orte mit anderen Augen.

Seine neueren Bildfolgen binden die Kunst in historische oder aktuelle Geschehnisse ein. Die Bilderserien werden radikaler, politisch engagierter — exzellent sind sie immer.

Joel Sternfeld: „Farbfotografie seit 1970“, bis 23. Oktober im Museum Folkwang, Museumsplatz 1, Essen, Di — So 10 — 18 Uhr, Fr bis 22.30 Uhr. Katalog 38/48 Euro.

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