Der Schrecken des Ersten Weltkriegs

Die Bundeskunsthalle zeigt eine bewegende Schau über die tiefgreifende Erschütterung in der modernen Kunst.

Bonn. „Max muss ins Heer. Feldartillerie. Vier Monate Kaserne in Köln-Niehl, dann hinaus in die Scheisse. Vier Jahre. Siegreich wollen wir Frankreich schlagen, sterben als ein tapfrer Heheheheld.“ So schrieb der Maler Max Ernst 1963 über seinen Einsatz im Ersten Weltkrieg, noch fast 50 Jahre danach ließ ihn der Schrecken der Schlachtfelder nicht los. Ein Foto in der Ausstellung „1914 — Die Avantgarden im Kampf“ zeigt den Künstler als Gefreiten im Schützengraben.

Wie eine Explosion brach der Erste Weltkrieg 1914 über die Menschen herein, auch über die blühende und europaweit vernetzte Kunstszene. Viele hatten ihn zwar kommen sehen, wie die ersten Räume der Ausstellung in der Bundeskunsthalle mit Zeichnungen von Ludwig Meidner und Alfred Kubin deutlich machen. Emil Nolde malt bereits 1913 ein „Schlachtfeld“, auf dem sich zentral ein Rappe aufbäumt, Menschen lassen sich allenfalls liegend auf dem blutig rot durchtränkten Boden erahnen.

Doch kaum einer dürfte eine Vorstellung davon gehabt haben, mit welcher Gewalt moderne Waffen erstmals einen Krieg bestimmten, wie brutal Soldaten in Stellungskriegen und Materialschlachten verheizt wurden.

Kurator Uwe M. Schneede präsentiert in einer ebenso bewegenden wie mustergültigen und nicht zuletzt hochkarätigen Schau die Entwicklungen dieser Jahre. Die strikte Chronologie ist dort nicht einfallslos, sondern sinnvoll. So vermitteln die rund 300 Werke von Max Beckmann, Otto Dix, Wassily Kandinsky, Ernst Ludwig Kirchner, Gabriele Münter, Kasimir Malewitsch, Franz Marc, Pablo Picasso und 50 weiteren Künstlern eindrücklich die Erschütterung der Künstler, von denen manche wie Max Liebermann und Ernst Barlach sich zunächst in den propagandistischen Dienst der kaiserlichen Kriegspolitik stellen lassen.

Doch Lebensbedrohung und tiefes Entsetzen schlagen sich bald in ihren Bildern nieder. Otto Dix stellt sich 1915 in Selbstporträts mal als dümmlich blickende „Schießscheibe“, mal als alles zerfetzender Kriegsgott „Mars“ dar. Max Beckmann hält seine Erlebnisse als Krankenpfleger fest — „Kopfoperation“ und „Leichenschauhaus“ zeugen vom tiefen Schrecken, der 1915 in einen Nervenzusammenbruch mündete. Paul Klee verliert seine Farbigkeit und fabriziert zittrige Bleistift-Zeichnungen — nicht nur, weil er keine Farbe hat.

Aus den grauenvollen Erfahrungen heraus entsteht aber auch das Neue: Dada, Surrealismus und Abstraktion haben hier ihre Wurzeln.

Die anschließenden Räumen beherbergen die ergänzende kleine Schau „Missing Sons“, die den Blick auf das Verschwinden von Millionen Toten in den Kriegen seit 1914 lenkt. Moderne Waffen haben diese Menschen vernichtet, nichts ist von ihnen übrig. Die Hälfte der zehn Millionen getöteten Soldaten des Ersten Weltkrieges hat kein identifizierbares Grab, allein in Verdun sind die Gebeine von 130 000 unbekannten, französischen und deutschen Soldaten versammelt.

Geblieben ist von ihnen nur der Name — festgehalten an den Gedenkorten mit ihren langen Namenslisten. 80 Foto-Reproduktionen und fünf Originalarbeiten von Käthe Kollwitz widmen sich der Erinnerung an die Verschwundenen, die das 20. Jahrhundert durchzieht.

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