"Kohl-Protokolle": Das verbotene Buch und die Folgen

Was der gerichtliche Stopp des Buches mit den mehr als hundert untersagten Zitaten aus Verlagssicht und generell bedeutet.

"Kohl-Protokolle": Das verbotene Buch und die Folgen
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Düsseldorf. Welche Konsequenzen hat das wegen untersagter Zitate gestoppte Buch „Vermächtnis: Die Kohl-Protokolle“? Wir sprachen mit Rainer Dresen, Justiziar der betroffenen Verlagsgruppe.

Herr Dresen, das Landgericht Köln hat in der vergangenen Woche entschieden, dass der zur Verlagsgruppe Random House gehörende Heyne-Verlag das Buch nicht mehr ausliefern darf. Dürfen die in den Buchläden oder bei Internethändlern vorrätigen Bestände frei verkauft werden? Dürfen Stadtbüchereien das Buch in ihre Regale stellen?

Rainer Dresen: Ja, das Urteil wirkt, wie die Juristen sagen, nur „inter partes“. Also nur gegenüber den Parteien. Der Verlag, also wir, darf es nicht mehr ausliefern, und auch die Autoren Schwan und Jens dürfen die gerichtlich gestoppten Passagen nicht etwa bei Autorenlesungen zum Besten geben.

Ist es riskant für Händler, die Restbestände zu verkaufen?

Dresen: Nein, Helmut Kohl und seine Anwälte hatten offenbar nie vor, gegen die Händler selbst vorzugehen. Deshalb steht ja auch in der offiziellen Pressemeldung des Gerichts, dass die bereits im Handel befindlichen Bücher vom Urteil nicht betroffen sind. Jetzt wäre es ohnehin zu spät für ein solches Vorgehen.. Das Buch ist am 7. Oktober erschienen, und eine einstweilige Verfügung muss schon innerhalb der sogenannten Dringlichkeitsfrist beantragt werden. Und damit innerhalb von etwa vier Wochen.

Aber die Zitate sind doch in der Welt, lassen sich in Online-Archiven abrufen. Selbst die Urteilsgründe des Landgerichts, in denen die verbotenen Zitate alle Wort für Wort aufgeführt werden, werden wohl bald in juristischen Fachzeitschriften und auf www.nrwe.de, der frei zugänglichen Rechtsprechungsdatenbank des Landes NRW, zu lesen sein.

Dresen: So ist es, und sie lassen sich auch in den rund 200 000 von uns ausgelieferten Print-Exemplaren und den E-Books nachschlagen. Das wäre nur — zum Teil — zu verhindern gewesen, wenn das Gericht eine Rückrufanordnung getroffen hätte. Dann hätten auch die Händler das Buch nicht mehr verkaufen dürfen. Das ist aber nicht geschehen, auch, weil die Gegenseite den entsprechenden Antrag zurückgenommen hat.

Haben Sie mit einer solchen Rückrufanordnung Erfahrungen?

Dresen: Das ist uns in 15 Jahren erst einmal passiert. Damals ging es um das Buch „Hinter den Kulissen“ von Dieter Bohlen. Damals hatte Bohlen gegen seinen Ex-Partner von ,Modern Talking’ schweres Geschütz aufgefahren, ihn zu Unrecht des Betrugs bezichtigt. Das war ein ganz anderer Fall als vorliegend, wo ja niemand die Authentizität der Zitate in Frage stellt.

Nun ist das Buch über Kohl auch als E-Book erschienen. Auch darauf wird sich ja wohl das Auslieferungsverbot beziehen. Können denn E-Books so einfach gestoppt werden?

Dresen: Ja klar, das geht. Sie müssen sich das so vorstellen wie einen Gartenschlauch. Die E-Books werden von uns als Verlag erstellt und in den „Gartenschlauch“ eingespeist und so zu unseren Vertriebspartnern im Online-Buchhandel transportiert. Den „Gartenschlauch“ haben wir direkt nach dem Kölner Richterspruch abgestellt, es hat noch kurz „getröpfelt“, nun aber kann es nicht mehr in der Ursprungsfassung heruntergeladen werden. Wir sitzen aber an einer aktualisierten Fassung, die in Kürze frei geschaltet wird.

Hat das Buch nicht durch den Rechtsstreit erst recht an Bekanntheit gewonnen?

Dresen: Das kann mal wohl nicht bestreiten, auch die Justiz-PR hat dafür gesorgt, dass es am Tag nach dem Urteil beim Onlinehändler Amazon von Platz 32 auf Platz 1 der meistverkauften Bücher sprang. Ein kleines Dankeschön dafür von unserer Seite an die Anwälte von Herrn Kohl!

Aber Sie können jetzt kein Geld mehr mit dem Buch verdienen?

Dresen: Erstmal nicht, und darum geht es ja auch gar nicht. Wir wollen wie jeder Verlag primär, dass die Inhalte unserer Autoren bestmöglich bekannt und verbreitet werden. Ich würde mich aber nicht wundern, wenn bei Ebay bald schon ganz andere Preise gezahlt würden als der offizielle Verkaufspreis von 19,99 Euro. Auch wir als Verlag geben noch lange nicht auf und sind zuversichtlich, schon bald die Ursprungsfassung wieder vertreiben zu können.

Sie wollen das Urteil nicht auf sich beruhen lassen, haben schon Rechtsmittel eingelegt. Wie begründen Sie das?

Dresen: Wir halten den Richterspruch für falsch. Ohne jetzt in juristische Details zu gehen: Es geht hier um Zitate, die weder von Kohl noch von seinen Anwälten bestritten wurden. Bei einem Politiker, der sich über andere Politiker äußert, ist nur dessen berufliche und damit die viel weniger geschützte sogenannte Sozialsphäre betroffen. Dann müsste die Meinungs- und Pressefreiheit viel stärker berücksichtigt werden. Überdies nimmt das Gericht mit wolkigen Worten eine vertragliche Vertraulichkeitspflicht an, obwohl es nachweislich gar keinen Vertrag zwischen Kohl und Schwan gab.

Es war dieser Tage bereits zu lesen, dass die Anwälte Kohls ihrerseits eine Klage überlegen — eine Art Gewinnabschöpfung. Gar von einer Forderung in siebenstelliger Höhe war die Rede.

Dresen: Das wäre vollends absurd, wenn Kohl für seine Beschimpfungen auch noch seinerseits Geld bekäme. Überdies sollten Juristen den Unterschied zwischen Umsatz und Gewinn kennen. Kein Verlag verdient an einem Buch mit einer Auflage von 200 000 Exemplaren einen Millionenbetrag.

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