Klavierfestival - Zu pompös in harten Zeiten?

Von Daniel Barenboim bis Anne-Sophie Mutter — beim Klavierfestival im Ruhrgebiet wird geklotzt. Manchem ist das angesichts der wachsenden Armut in der Region zu viel.

Essen. Am 8. Mai 2012 schlägt Pianistenstar Daniel Barenboim in der festlichen Mercatorhalle in Duisburg die erste Taste zu einem Schubert-Konzert an — bei Eintrittspreisen von bis zu 115 Euro. Das weltweit bekannte Klavierfestival Ruhr wird auch in der nächsten Saison Glanz verbreiten — manchen Industriesponsoren und Förderern im ärmer werdenden Revier ist es aber zu pompös geworden.

„Mittelfristig wäre eine Reduzierung von jetzt 60 auf 40 Konzerte sinnvoll“, sagt ein Mitglied des Förderkreises. „Bei den Riesenproblemen, die das Ruhrgebiet hat, müssen wir mehr Geld für handfeste Projekte und die Bildung und Förderung des Nachwuchses ausgeben.“ Das Festival ganz abzuschaffen, steht aber nicht zur Diskussion.

Die Region ist alarmiert durch den unrühmlichen Spitzenplatz, den sie im kürzlich veröffentlichten Armutsbericht des Paritätischen Gesamtverbandes einnimmt. Die Industrie-Sponsoren lagen ohnehin seit Jahren im Clinch mit Intendant Franz Xaver Ohnesorg, weil er das Festival, seinen Apparat und damit vor allem die Kosten seit seinem Amtsantritt in den 90er Jahren immer weiter ausgedehnt hatte. Statt der 60 Konzerte, die die Ruhr-Industrie lange als Leitlinie ausgegeben hatte, veranstaltete Ohnesorg bis zu 88 Konzerte (2007). Der Initiativkreis der großen Firmen des Ruhrgebietes musste die Hälfte seines gesamten Förderetats von rund zwei Millionen Euro allein für das Festival ausgeben.

Dabei sind die Ruhr-Unternehmen noch in vielen anderen Standort-Projekten aktiv. Sie haben gerade eine Internationale Schule gegründet, fördern sozial benachteiligte Hauptschüler und bemühen sich in ihrem Leitprojekt „Innovation City“ um die energetische Sanierung großer Teile der Stadt Bottrop. Bodenständigen Managern wie Evonik-Chef Klaus Engel platzte 2010 der Kragen: Der Initiativkreis kürzte seine Mittel für das Festival deutlich um ein Viertel allein für 2011 und gründete zum Jahresbeginn eine Stiftung als neue Trägerin der Konzertreihe.

Ohnesorg (63) warf aber nicht die Brocken hin, sondern lief im Gegenteil auf der Suche nach Förderern der Stiftung zu großer Form auf. Stets im gepflegten Anzug mit Fliege traf er beim hartnäckigen Werben um die — Originalton — „so noble Geste“, zur Strahlkraft des Klavierfestivals beizutragen, offenbar den richtigen Ton.

Ob Adenauer-Enkel Patrick Adenauer, ThyssenKrupp-Aufsichtsratschef Gerhard Cromme oder Erivan Haub (Tengelmann), ob Familie Haniel, Traudl Herrhausen oder der Tecklenburger Erbprinz Maximilian — im ersten Jahr unterschrieben bereits mehr als 250 Förderer. Das finanzielle Äquivalent der „noblen Geste“ ist streng geheim; es soll aber um die 10 000 Euro pro Spender liegen.

Dankbar für den Spendensegen verlängerte die Stiftung vor wenigen Tagen den Vertrag Ohnesorgs um fünf Jahre — was in Teilen des Initiativkreises Kopfschütteln auslöste. „Großes Erstaunen, vor allem wegen der Länge“, sagt ein Mitglied, „drei Jahre mit der Auflage, einen Nachfolger zu suchen, wären besser gewesen.“ Der seit 1996 amtierende Ohnesorg sieht das ganz anders. Der Vertrag biete eine Klausel, rechtzeitig über die Zukunft nachzudenken, sagt er.

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