K20 in Düsseldorf Picassos Kunst im besetzten Paris

Düsseldorf · Die Schau „Pablo Picasso. Kriegsjahre 1939 bis 1945“ zeigt sein Schaffen im Zweiten Weltkrieg.

 Picassos „Frau im Lehnstuhl“ ist seine Geliebte Dora Maar zur Zeit des Zweiten Weltkriegs. Das Gemälde zeigt sie als neu zusammengesetztes weibliches Wesen mit Wespentaille und mit lustigem Hut.

Picassos „Frau im Lehnstuhl“ ist seine Geliebte Dora Maar zur Zeit des Zweiten Weltkriegs. Das Gemälde zeigt sie als neu zusammengesetztes weibliches Wesen mit Wespentaille und mit lustigem Hut.

Foto: Kunstsammlung NRW

Pablo Picasso (1881-1973) war 58 Jahre alt, als die Nazis am 3. September 1939 den Briten und Franzosen den Krieg erklärten. Mit diesem Datum beginnt eine sensationelle Schau in K20, und sie endet mit dem Sieg der Alliierten am 8. Mai 1945. Es gibt unendlich viele Ausstellungen zu diesem Jahrhundert-Maler, aber seine „Schwarzen Jahre“ während der Besatzung werden erstmals in 70 Meisterwerken beleuchtet.

Der Terror der Zeit und die große Liebe zu den Frauen

Der spanische Maler war berühmt, er galt als Galionsfigur der Moderne und malte selbst in den Kriegsjahren in seinem riesigen Atelier. Er erhielt zwar Malverbot und wurde als „entarteter Künstler“ bezeichnet, dennoch wurde er durch den Hitler-Freund Arno Breker geschützt, damit ihn die Gestapo leben ließ. Die Ausstellung „Pablo Picasso 1939 bis 1945“ behandelt jedoch nicht nur Terror und Hunger, Tristesse und Braun und Blaugrau, sondern auch die große Liebe zu Frauen, die er in unwiderstehlichen, verspielten, strengen, dekorativen und nie ganz greifbaren Gestalten Revue passieren lässt.

Die Ausstellung beginnt mit verrückten Hüten auf dem Kopf der Dora Maar, der Muse jener Jahre, mit der er von 1937 bis 1943 zusammenlebte. Die Kunstgeschichte sieht in ihr die „weinende Frau“ als Symbol des Krieges. Was nicht unbedingt stimmen muss, denn der gestreifte Hut wirkt wie ein lustiger Fisch im Wasser und der blaue Hut wie ein Boot, das ruhig im Wasser schaukelt. Mag das Gesicht noch so deformiert sein, es ist schön.

Am brillantesten wirkt die Muse im Gemälde „Femme assise au fauteuil“, „Frau im Lehn­stuhl“. Gesicht und Oberkörper sind zersetzt und zerstückelt in diesem weiblichen Wesen mit Wespentaille, doch zugleich ist alles vorhanden: Die Augen, die aus der Renaissance entsprungen sein könnten, während sie den Betrachter anschauen; die kecken Ohren, die Augenbrauen als schwarze Nägel sowie das Milieu aus Sternentapete, geflochtener Stuhllehne und rotem Teppich. Die Vollendung eines Formspiels ist dieses Gemälde. Und zugleich ein lustiges Porträt, in dem der Maler so frei agiert wie seine Muse selbst, auch wenn sie einen fast schon albernen Hut trägt.

Picasso wäre der Letzte gewesen, der wie seine Surrealisten-Freunde oder wie Fernand Léger ins amerikanische Exil geflohen wäre. Er begab sich in die innere Emigration, malte kein „Guernica“-Bild mehr wie seinerzeit als Reaktion auf den spanischen Bürgerkrieg, sondern einen abgezogenen, blutigen Schafsschädel. Den legte er im Bild mitten auf dem Horizont in eine düstere Landschaft. Der Krieg war gerade erst ein paar Tage alt, und Picasso ahnte die Katastrophe in der Zukunft. Der Schädel wird zum Lieblingsmotiv. In einem Dreierpack von Schädeln malt er dazu ein merkwürdig absurdes Lachen.

Madame Paul Éluard, ein graziler Engel mit blassem Gesicht

Der Höhepunkt des Schädelmotivs ist ein Memento Mori auf den Tod des verstorbenen Bildhauerfreundes Julio González, den er seit seiner Jugend kannte. Eine Totenklage auch auf die Zeit, wo die Fenster verdunkelt wurden, um keine feindlichen Bombenflieger auf sich zu lenken. In Spanien, der Heimat des Künstlers, war es Brauch, die Spiegel im Zimmer eines Verstorbenen zu verhängen. Picassos Tierschädel aber bündelt das gesamte Licht im Bild auf sich. Die hoch aufgerichteten Hörner wirken wie der Versuch, dem Tod wie im Stierkampf doch noch zu entkommen.

Malerei ist in den Augen dieses Mannes immer zugleich Verwandlung und Liebe. Zwischen vielen traurigen, klaustrophobischen und abstrahierten Frauengestalten hängt das Bildnis „Madame Paul Éluard“. „Nusch“, die Ehefrau des Pariser Surrealisten Paul Éluard, war Schauspielerin und Fotomodell. Und Picasso muss von ihrem Zauber hingerissen gewesen sein. Grazil und schmächtig ist der nackte Oberkörper. Das blasse Gesicht mit dem verhaltenen Lächeln wirkt wie entrückt. Es ist, als schwebe die Figur in einem fast schwerelosen Hintergrund, ganz Lichtgestalt, ewige Jugend und verhaltene Schönheit. Man möchte gar nicht glauben, dass sie sich zusammen mit ihrem Mann in der Résistance engagierte und für die Verbreitung subversiver Texte sorgte. Ein naturalistisches Bild ist es, und zugleich der Traum eines Bildes. Im November 1946 starb Nusch im Alter von nur 40 Jahren ganz plötzlich an einem Gehirnschlag.

Ein absurdes Theaterstück für die Gemeinschaft der Literaten

Picassos Werke im Zweiten Weltkrieg lassen sich nicht fassen. Sie erzählen in über 2200 Beispielen von schmucklosen Innenräumen und von gräulichen bis strengen Figuren, die wie Sinnbilder der Betonarchitektur erscheinen. Es entstehen bescheidene Landschaften in Postkartengröße, Stillleben mit Lauch und Langusten, die wenigstens im Bild den Hunger stillen. Außerdem schrieb er jenes Theaterstück, das unter dem Titel „Wie man Wünsche beim Schwanz packt“ außer Hunger, Kälte, Einsamkeit und Todesangst auch den Humor einer Schmierenkomödie ahnen lässt, mit Picasso als „Plumpfuß“, der nicht weniger als 380 000 Seiten verfasst haben will. Das Stück wurde im Freundeskreis 1944 aufgeführt, mit Albert Camus als Regisseur, mit Jean-Paul Sartre als Klümpchen und Dora Maar als „magere Angst“. Für die versprengten Literaten war es eine kostbare Gelegenheit, sich zu treffen und das absurde Schauspiel als Gemeinschaft zu leben.

Als Held feierte man den „Mann mit Schaf“ und „Friedenstaube“

Picasso durchlebte die Zeit des Krieges in der inneren Emigration, aber er war begünstigt. Er behielt seinen Status als öffentliche Person, auch wenn er seine Werke im Tresorraum einer Bank sichern musste. Amerika lag ihm seit dem „Guernica“-Bild zu Füßen, das durch die Museen tourte. Selbst im besetzten Paris galt er als Kultfigur. Und mit der Befreiung Frankreichs im August 1944 inszenierten ihn die Medien und die Politik, die Museen und der Kunstmarkt zum internationalen Star und zum Volkshelden. In dem wunderbaren Katalog kann man nachlesen, wie die GIs in Paris neben dem Eiffelturm und den Folies Ber­gère vor allem in Picassos Atelier pilgerten. Die großen Fotografen der Zeit, Brassai, Robert Capa, Henri Cartier-Bresson und Lee Miller schilderten in den schönsten Foto-Reportagen die befreite Republik mit dem befreiten Picasso. Die Kommunistische Partei, der Front National und nicht zuletzt er selbst förderten den Personenkult. Nun war er der „gute Hirte“ mit dem „Mann mit Schaf“ und der Pazifist mit der Friedenstaube.

Er selbst aber verabschiedete sich von Dora Maar wie von Marie-Therèse Walter und hatte seine neue Muse in Françoise Gilot, mit der er bis 1953 zusammenlebte. Die traurigen Farben brauchte er nun nicht mehr.

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