Salzburger Festspiele Oper „Idomeneo“: Jubel- und Buhrufe für Peter Sellars

Salzburg · Bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele präsentiert der Theaterregisseur seine Inszenierung von Mozarts Oper „Idomeneo“. Es ist zugleich ein Versuch, das barocke Opus mit aktuellen Themen zu verknüpfen.

 Eine Szene aus der Oper „Idomeneo“ von Wolfgang Amadaeus Mozart in der Salzburger Felsenreitschule zu sehen: Auf dem Foto (v.l.) sind Russel Thomas (Idomeneo) und Jonathan Lemalu (Nettuno/La voce) zu sehen.

Eine Szene aus der Oper „Idomeneo“ von Wolfgang Amadaeus Mozart in der Salzburger Felsenreitschule zu sehen: Auf dem Foto (v.l.) sind Russel Thomas (Idomeneo) und Jonathan Lemalu (Nettuno/La voce) zu sehen.

Foto: dpa/Barbara Gindl

Alle reden über das Klima. Auch in der Mozartstadt. Gerade nach dem überstandenen Hitzerekord. So wirkte auch die Eröffnungsrede von Peter Sellars beim Festakt der 99. Salzburger Festspiele wie ein Mahn- und Weckruf, nicht die Klima- und Umwelt-Zukunft der nächsten Generation zu verspielen.

Die betuchte Politik- und Wirtschaftelite wollte der US-amerikanische Regisseur – wie üblich mit stürmisch wirbelnder Alt-Punker-Mähne – auch am Abend aufrütteln. Mit seiner Inszenierung von Mozarts „Idomeneo“, König von Kreta – einer Oper aus der Feder des 25-jährigen Mozart, die noch in der barocken Tradition der Opera Seria steht und als seine größte Chor-Oper gilt. Es geht um die Geschichte des antiken Königs Idomeneo, der nach Götterwillen seinen Sohn Idamante opfern soll. Dieser indes liebt die schöne Ilia – Tochter des besiegten Trojaner-Königs. Beide haben manche Prüfungen zu bestehen.

Die Kunststoff-Installation auf der Bühne wirkt austauschbar

Sellars jedoch deutet das Barock-Opus als Gleichnis für eine Gesellschaft, die auf Kosten der nächsten Generation die Umwelt zerstört. Zumindest will er das. So liegen in der Felsenreitschule monumentale Gebilde aus durchsichtigem Plastik. Riesen-Tassen, -Trichter, -Rohre. Wie an Land gespülter Plastikmüll, aufgeblasen zu Riesen-Objekten. Im Laufe des dreieinhalb-Stunden-Events werden sie an Seilen hochgezogen und schweben am Ende unter der Decke. Diese politisch engagierte und beeindruckende Kunststoff-Installation des Bühnenbildners George Tsypin wirkt auf der Bühne jedoch austauschbar, kommt kaum in Berührung zu den handelnden Figuren: Sie leiden an ihren Gefühlen, manchmal auch unter peitschenden Stürmen, gefährlichen Wellen und Ozeanen, die die Menschen besiegen.

Sellars Aussage erschließt sich nicht, wenn er auch die Gruppenszenen mit Griechen und geflohenen Troern ebenso wie die unglückliche Dreiecks-Geschichte in packenden Tableaus über die Rampe bringt. Ilia (in den Höhen runder Sopran: Ying Fang), die aus Troja fliehen musste, ihr geliebter Idamante (ordentlich, aber ohne Glanz: Mezzosopran Paula Murrihy) und seine Verlobte Elektra (Nicole Chevalier).

Nach allerlei Unwettern, Verwicklungen und Eingriffen der Götter werden die Figuren am Ende geläutert: Idomeneo übergibt die Macht an seinen Sohn, der sich mit Ilia vermählt. Einziges Opfer: Elektra. Sie rast vor Eifersucht und schraubt sich in die höchsten Sopranregionen. In dieser wahnwitzigen Arie bietet Nicole Chevalier mit funkelndem Sopran Stimm-Akrobatik und großes Kino, bleibt wie ein erlegtes Reh am Boden liegen. Jubel, Bravo auf offener Bühne für einen Bühnenstar.

Neben Teodor Currentzis. Der griechisch-russische Dirigent in mystisch-rockiger T-Shirt-Kluft, der an zwei Enden zu brennen scheint, kam wieder mit seinem Music-Aeterna-Chor aus Perm, diesmal aber mit dem Freiburger Barockorchester, das sich von Currentzis’ extrem körperlichen und schweißtreibendem Dirigierstil inspirieren lässt.

Und zwar zu züngelnden, losbrausenden Feuerstürmen und gehauchten Flüstertönen. Bereits vor zwei Jahren hatte er (an der Seite von Sellars) mit Mozarts „Clemenza di Tito“ bei den Festspielen seinen internationalen Durchbruch gefeiert, war schon vorher der meist gehypte Maestro. 2015 sorgte er bereits bei der Ruhrtriennale mit aufwühlender Musik für Furore und ist zudem seit vergangenem Jahr Chefdirigent des SWR-Symphonie-Orchesters, mit dem er jetzt ihm großen Festspielhaus gastierte.

Doch bleibt er sich (auch als westlicher Maestro) treu. Als sensibler, hoch emotionaler Einflüsterer agiert er immer noch in Richtung Sänger, Chor und Orchester. Bebt bei jedem Losstürmen und wiegt seinen Oberkörper wie ein Tänzer in lyrischen Passagen. Jeder Arie, jedem Duett und Quartett entlockt er eine Vielzahl von Gefühlen. Und macht sich auf Tempi, Dynamik und Lautstärke seinen eigenen Reim. Nicht selbstherrlich, sondern nah an der Aussage der Charaktere.

Die Liebesarien zwischen Idamante und Ilia werden ebenso seziert wie die unglücklich eifersüchtige Elektra, die sich aus Verzweiflung die Seele aus dem Leib singt und zusammenbricht. Currentzis macht süchtig nach dieser Musik, die unter dem Taktstock so vieler Spezialisten meist zu gähnender Langeweile gerinnt. So ist dieser „Idomeneo“ musikalisch zunächst ein Abenteuer, am Ende eine Offenbarung. Und wird vom feinen Premierenpublikum mit Johlen, Pfeifen, Stampfen und Jubel überschüttet. Unter den Applaus für das Regie-Team mischten sich indes auch einige Buhrufe für Peter Sellars. Denn er überzog das Finale, ließ ein polynesisches Tänzerpaar zu Mozarts Ballettmusik trippeln und sich in fließenden Armbewegungen ergehen. Wozu? „Hätt’ er sich sparen können!“, zischt meine Nachbarin in Alm-Couture vor sich hin.

Der Fernsehsender „Servus TV“ zeigt am Donnerstag, 15. August, um 21.15 Uhr eine Aufzeichnung der Oper.

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