Heinz Mack: Kunst mit dem Fensterwischer

Mit Werkverzeichnis zur Zero-Malerei und einer Ausstellung in Düsseldorf trumpft der 86-Jährige auf.

Heinz Mack: Kunst mit dem Fensterwischer
Foto: dpa

Mönchengladbach. Heinz Mack hat die Dynamik verinnerlicht. Der 86-Jährige sprüht vor Vitalität. Vor zwei Tagen hat er die Moses-Mendelssohn-Medaille erhalten. In Kürze kommt das Werkverzeichnis seiner Zero-Malerei heraus. Es erscheint ein Buch über seine Lichtexperimente und eine Dissertation über sein Sahara-Projekt. Am 15. September lädt Heinz Mack zur Vernissage der Zero-Malerei in die Düsseldorfer Akademie-Galerie. Wir trafen den Künstler im Huppertzhof in Mönchengladbach.

Herr Mack, Ihre Zero-Malerei entstand zwischen 1956 und 1968, in einer Phase des Umbruchs. Sie waren frisch gebackener Familienvater, Lehrer und angehender Künstler. Wie haben Sie das geschafft?

Mack: Es war eine lebendige und zerrissene Zeit. Ich war für alles zu jung. Ich war der jüngste Studienrat. Ich habe viel zu früh geheiratet — eine Kameradschaftsehe mit einer sieben Jahre älteren Frau. Ich war Familienvater. Ich bekam mein erstes Gehalt. Otto Piene und ich haben oft bis in die Nacht gearbeitet. Ich musste aber um 8 Uhr in der Schule sein. Das war kein Spaziergang.

Was haben Sie unterrichtet?

Mack: Kunst und Philosophie. Mein Referendariat war in Essen am Burggymnasium. Zur Assessor-Prüfung ging ich mit den Primanern ins Folkwang-Museum und habe vor einem Bild von Gauguin die Prüfungskommission überzeugt. Das war neu. Ich habe in Düsseldorf am Leibniz-Gymnasium unterrichtet, aber hatte ein Disziplinarverfahren, weil ich bei der Wahl einer Farbe für die graue Schule die Schüler einbezog, ohne die Pausenaufsicht zu fragen, und wurde ans Lessing-Gymnasium versetzt. 1962 hängte ich den Studienrat an den Nagel, ging nach New York und vergaß, dass ich jemals Lehrer war.

Wie war Ihr Malereikonzept?

Mack: Ich habe 1958 in „Zero 1“ über die dynamische Struktur geschrieben. Das Dynamische ist ein sehr vitales Prinzip. Dionysos, das ist Herr Wagner mit seiner Mystik. Damit will ich nichts zu tun haben. Wir plädierten mehr für Apollo. Aber wir waren auch manchmal im Rausch. Deshalb kann man sagen, dass die dynamische Struktur das Apollinische und Dionysische hat.

Ihre Zero-Arbeiten haben eine schlichte Technik. Sie variieren in vertikalen und horizontalen Parallelen. Was hat es damit auf sich?

Mack: Die Struktur ist wichtig. Die abendländische Malerei basiert seit der Renaissance auf der Zentralperspektive. Erst der analytische Kubismus von Picasso hat alles auf den Kopf gestellt. Das war eine unglaubliche Tat. Die Struktur spielt heute wieder eine große Rolle, in der Musik seit Stockhausen, Philip Glass, Terry Riley und György Ligeti. Aber auch die Naturforscher betrachten ja nicht die Natur, sondern analysieren die Strukturen durch das Elektronenrastermikroskop. Die orientalische und asiatische Kunst ist zweidimensional.

Malen Sie nach System?

Mack: Ich gehe nicht mit Systemen und Theorien in die Werkstatt, sondern mit der Hoffnung, dass dort auch noch Götter, vor allem Apollo, präsent sind. Reine Konzeptkünstler landen bei intellektuellen Theorien und schaffen keine Sinnlichkeit. Der Zufall muss ins Spiel kommen. Er ist das große Geheimnis und das große Wunder. Ohne Zufall hätte selbst Mozart nicht komponieren können.

Sie spielen Klavier, haben viele Schallplatten. Welche Rolle spielt für Sie die Musik?

Mack: Ich habe sehr früh mein bescheidenes Geld für Schallplatten ausgegeben. Der Jazz war für uns eine Befreiung. Nach dem Zack-Zack-Zack der Hitler-Jugend kam plötzlich ein Rhythmus auf. Der war unglaublich sinnlich und freundlich und aufheiternd.

Wie entstanden die Bilder? Leinwände waren teuer. . .

Mack: Man war froh, wenn man überhaupt arbeiten konnte. Es tut mir noch heute leid, dass ich einem Kollegen in der Akademie Farben geklaut habe. Das waren Farben, die kaum lichtecht waren. Sie wurden mit Ei angerührt.

Und die Stoffe?

Mack: Es gab auf der Düsseldorfer Schadowstraße das Fachgeschäft Weipert. Da habe ich die Mädchen hofiert, damit sie mir Reste gaben. Das war Nessel, keine Leinwand. Ein sehr dünnes Material. Auf der Kunstmesse Tefaf in Maastricht hing ein Bild von mir, das sehr teuer war. Ein Superbild. Aber es fand keinen Käufer, weil es ganz feine Risse hatte. Sobald jemand dagegen stieß, brach die Farbe. Die Restauratoren bekamen die haarfeinen Risse nicht weg. Diese Bilder hatten aber künstlerisch einen sehr hohen Wert, trotz der Risse.

Sie haben auch Pappe genommen?

Mack: Eine ganze Reihe von Arbeiten sind auf so genannte Lumpenpappe gemalt. Die Lumpen werden zerfasert und gepresst. Ich bin heilfroh, dass sie ein halbes Jahrhundert oder mehr überlebt haben. Aber es gibt auch Arbeiten auf Leinwand. Zuweilen habe ich auch alte Arbeiten übermalt.

Wie haben Sie die Bilder bearbeitet? Gedrückt, geschoben, geschichtet?

Mack: Ich habe die Leinwand grundiert und eine Schicht farblosen Kunstharz dünn und gleichmäßig aufgetragen. Diese transparente Schicht musste etwas antrocknen, aber nicht zu viel. Dann kam die Farbschicht. Mit einem Fensterwischer habe ich die Farbe in regelmäßigen Abständen wieder heruntergeholt. Zuweilen habe ich mit einer Rakel auf Plexiglas- oder Hartgummi Streifen eingearbeitet.

Machte Ihre Technik Schule?

Mack: Ich habe viel Einfluss ausgeübt. Göpfert, Geccelli, Girke haben sich beeinflussen lassen. Es kann sein, dass ich etwas schneller war, und die anderen haben es aufgenommen. Ich habe der Zero-Stiftung viel Geld gegeben, damit das Thema der Struktur wissenschaftlich geprüft wird.

Was wird eines Tages aus Ihrem Nachlass?

Mack: Meine Tochter Valeria hat in London den Master für Contemporary und Modern Art abgeschlossen und sich entschieden, diese Aufgabe zu übernehmen, zusammen mit meiner Frau Ute. Darüber bin ich sehr froh.

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