Retrospektive Gurskys Bilder von der Deutschen Einheit

Die Retrospektive im Museum Frieder Burda vereinigt Hauptwerke des Fotografen.

Andreas Gursky im Museum Frieder Burda in Baden-Baden vor seinem Werk " Lehmbruck I " aus dem Jahr 2013. Foto: Uli Deck/dpa

Andreas Gursky im Museum Frieder Burda in Baden-Baden vor seinem Werk " Lehmbruck I " aus dem Jahr 2013. Foto: Uli Deck/dpa

Foto: Uli Deck

Baden-Baden. Am Tag der Deutschen Einheit eröffnet das Museum Frieder Burda mit einer glanzvollen Retrospektive von Andreas Gursky. Dafür hat der Fotokünstler den Hingucker geschaffen. Sein Panorama zeigt die vier noch lebenden Kanzler der Bundesrepublik, Schröder, Schmidt mit Rauchwölkchen, Merkel und Kohl. Sie sind jedoch als Rückenfiguren gesichtet. Köpfe und Schultern ruhen in dunklen Sesseln. „Rückblick 2015“ heißt das Bild. Die Männer in Dunkel, Madame in Gelb, betrachten ein riesiges Rot. Was sie denken oder verhandeln, bleibt ein Geheimnis. Ein Bild — ein Rätsel. Und ein typischer Gursky.

Denn der Künstler aus Düsseldorf montiert seine politischen oder gesellschaftskritischen Werke stets mit der ihm eigenen Zurückhaltung. Er praktiziert keinen Subjektivismus, mischt sich nicht ein, sondern hofft auf die Entschlüsselung durch den Betrachter. Der erstaunt sich angesichts all der Krisen in der Welt über die Ruhe in der Komposition. Wann haben je vier Politiker derart versunken nebeneinander gesessen und in eine uns unbekannte Welt geschaut. Das haben sie natürlich nicht. Die Idee fand Gursky im Foto von einer Hauptversammlung der Opel-Werke, vier Köpfe, vier Lehnen und eine Sichtbarriere. Das Bild lebt zugleich von einem betörenden Rot. Und das entwendete der Fotograf von dem monochromen Gemälde des Barnett Newman, „Vir heroicus sublimis“. Fachleute der Kamerakunst wissen zu berichten, wie schwer es noch immer ist, fotografisch ein Rot zu erzeugen, das nicht abflacht. Gursky kann‘s. Sein betörendes Rot macht aus den vier Köpfen doch noch ein tolles Bild.

Fast alle Höhepunkte von Gurskys Kunst passieren in den lichtdurchfluteten Hallen des Architekten Richard Meier Revue. Dazu gehört der Rhein, jenes Bild aus flachen grünen Streifen für das Ufer, einer silbernen Zwischenzone für den Fluss und einem rheinisch-grauen Himmel, mit dem der Künstler erstmals auf einer Auktion die Millionengrenze an Euro überstieg. Das Gewimmel des Jungvolks beim „May Day“ zur Jahrtausendwende oder „Madonna“ in einem der unzähligen Vergnügungstempel gehören zu jenen Werken, mit denen der Künstler der Gesellschaft auf den Fersen ist. Aber es gibt auch Kontrastbilder. Der Müll ist ein wiederkehrendes Motiv, er stinkt fast zum Himmel. Doch je älter Gursky wird, desto mehr handelt er nach der Devise: „Fotografie ist ein Medium, das Wahrheit verspricht“. Auf seinen Bildern wird die Wirklichkeit konstruiert. Nur so ist es möglich, dass die vietnamesischen Korbflechterinnen wie aus der Vogelperspektive gesichtet werden, das Massenfestspiel in der nordkoreanischen Hauptstadt Pyongyang zu einem Pixelreigen mit gestikulierenden Einheits-Mädchen wird.

Eine Meisterleistung liefert er mit einem Bild namens „Lager“ von 2014. Da zeigt er seine eigene Bilderwelt im Anschnitt zwischen einem grauen Lattenwald verschiebbarer Halterungen. Dabei spielt er mit den Tiefenschärfen der Kamera, montiert das Ganze aber zugleich zu einer riesigen Flachware. Hier spielt ein Meister der Kunst mit seinem eigenen Können. Und im nächsten Jahr plant er in der Düsseldorfer Kunstsammlung eine Schau mit lauter neuen Bildern.

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