Grüne wollen Philosophieunterricht für Grundschüler

Düsseldorf. Können Kinder schon philosophieren? Für Klaus Blesenkemper, emeritierter Professor für Fachdidaktik Philosophie an der Universität Münster, ist das keine Frage: „Kinder sind so sehr Philosophen, dass man sogar sagen kann: Alle Philosophen sind Kinder.“ Damit wäre diese Frage geklärt.

Grüne wollen Philosophieunterricht für Grundschüler
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Viele andere auf dem Weg zum Ersatzfach Philosophie an den NRW-Grundschulen sind aber noch offen, das machte am Mittwoch eine Expertenanhörung im Landtag deutlich.

Angestoßen wurde die Debatte durch einen Antrag der Landtagsfraktion der Grünen. Sie verweisen auf inzwischen 18,9 Prozent der Grundschüler, die keiner Konfession angehören. Außerdem könnten viele Kinder keinen bekenntnisorientierten Religionsunterricht besuchen, weil dafür mindestens zwölf Kinder eines Bekenntnisses erforderlich sind.

In der Praxis wird das Problem zwar häufig dadurch aufgefangen, dass beispielsweise muslimische Schüler katholischen oder evangelischen Religionsunterricht besuchen oder evangelische Kinder am katholischen Unterricht teilnehmen. Die Zahl der Abmeldungen vom Religionsunterricht lag im Schuljahr 2016/2017 bei nur knapp 1600.

Aber Grundschüler, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, werden oft nur in Auffanggruppen betreut oder haben frei, wenn Religion in die Randstunden gelegt wird. Blesenkämper beziffert ihre Zahl auf gut 110 000 (17,5 Prozent aller Grundschüler). Mit einem Ersatzfach Philosophie würden die Karten neu gemischt, denn dann könnten sich auch konfessionsgebundene Eltern möglicherweise dafür entscheiden.

Evangelische und katholische Kirche sträuben sich nicht. Die Einführung eines Ersatzfaches sei grundsätzlich sinnvoll, heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme. Allerdings gibt es unterschiedliche Vorstellungen, wie stark die Verzahnung von Religions- und Philosophieunterricht sein soll und ob möglicherweise eine gemeinsame Fächergruppe sinnvoll wäre.

Für Sigrid Beer, schulpolitische Sprecherin der Grünen, dürfte ein Fach Philosophie in der Grundschule nicht zu weiterer Separierung führen, sondern müsste als „Pluralitätsschulung“ verstanden werden. Professor Thomas Nisters von der Universität Köln warnt aber davor, die Entscheidung von Eltern gegen Religionsunterricht indirekt zu unterlaufen. Andererseits: Wer Themen wie Tod, Lebenssinn, Hass und Liebe diskutiert, kommt auch im Philosophieunterricht nicht um religiöse Bezüge herum.

Anne Goebels, die gerade in Köln über das Thema „Grenzen und Möglichkeiten des Fachs Philosophie in der Primarstufe“ promoviert hat, plädiert beim Lehrplan für eine konsequente Schülerorientierung. Während die Grünen in ihrem Antrag schreiben, auch Kinder bewegten „die großen Fragen unserer Existenz“: „Wo kommen wir her? Wo wollen wir hin? Was bedeutet gutes Handeln? Was ist Glück?“, hat Goebels andere Erfahrungen gemacht: „Mir begegnen in der Grundschule viel eher Fragen wie diese: Wieso bestimmen Eltern alles? Wie wäre es, wenn wir keine Gefühle hätten? Bleibt Freundschaft für immer?“ Ein Curriculum dürfe nicht thematisch-inhaltlich auf Fragen festgelegt werden. Sonst würden den Schülern möglicherweise Fragen auferlegt, „denen gar nicht ihr persönliches Interesse gilt“.

Ob der Landtag schließlich der Praxis anderer Bundesländer folgt, eine Alternative zum Religionsunterricht auch im Primarbereich einzurichten, ist noch offen. Käme es dazu, würde das Fach jedenfalls wohl nicht Ethik heißen. Zumindest lehnt Professor Nisters ein Fach der „exklusiven Wertevermittlung“ ab. Es dürfe keine „Monopolisierung des Ethischen“ geben.

Offen ist aber nicht nur die Entscheidung an sich, sondern auch der zeitliche Vorlauf, der bei einer Einführung nötig wäre. Kurzfristige Zertifizierungskurse für Grundschullehrer, die diese zum Philosophieunterricht befähigen, bezeichnet Klaus Blesenkemper als „Ausbildung light“. Der goldene Weg sei eine grundständige Ausbildung an der Hochschule. Dann würde es aber Jahre dauern, bis die ersten Lehrer zur Verfügung stünden. Eine mögliche Alternative: berufsbegleitende Studienkurse über vier Semester.

Das wären die theoretischen Wege hin zu dem nötigen Fachpersonal. Praktisch stellt sich Ferdinand Claasen, zuständiger Fachreferent im Katholischen Büro NRW, angesichts eines ohnehin schon bestehenden Lehrermangels im Primarbereich allerdings erst einmal die berechtigte Frage, „woher die Lehrkräfte kommen sollen“.

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