Verblendung: Am Ende hilft dir keiner

David Fincher macht aus der Neuverfilmung von „Verblendung“ mit Daniel Craig und Rooney Mara ein Kino-Ereignis.

Es gibt vieles, das an diesem Film abschrecken könnte: Die Arroganz Hollywoods, europäische Erfolgsfilme grundsätzlich neu zu verfilmen, statt sie im Original in die US-Kinos zu bringen. Die Besetzung des smarten wie drahtigen Daniel Craig als Journalist Mikael Blomkvist, der von Stieg Larsson in seiner Vorlage eher als untrainierter Durchschnittsmann beschrieben wird. Oder auch die Titelsequenz zum Auftakt, die mit überstilisierten Brutalitätsandeutungen wie die peinliche Lack-und-Leder-Parodie eines James-Bond-Vorspanns wirkt. Wie gesagt: Es gibt vieles, das abschrecken könnte. Doch das sollte es nicht.

Denn Regisseur David Fincher, der mit seinen atmosphärisch dichten Kunstwerken fast immer den Spagat bewältigt, den künstlerischen und kommerziellen Ertrag einer Geschichte gewinnbringend auszuschlachten, liefert mit seiner US-Version von „Verblendung“ nicht nur eine werkgetreue Umsetzung des ersten Teils der Bestseller-Trilogie. Nein, er schafft es sogar, die Charaktere, deren Reiz die Widersprüchlichkeit ihres Handelns ist, psychologisch besser auszuloten als der schwedische Originalfilm von 2009.

Vor allem der eigentliche Star der Millennium-Trilogie, die innerlich verstörte, nach außen dafür umso wehrhaftere Lisbeth Salander, erhält mit der wunderbaren Rooney Mara endlich die weidwunde und unberechenbare Aura, die zumindest aus Teilen des ersten Larsson-Bandes eine Auseinandersetzung mit dem Thema „Schuld und Sühne bei sexueller Gewalt“ macht.

In der ersten Verfilmung verkörpert Noomi Rapace die hyperintelligente Hackerin Salander zu sehr als Abziehbild eines eiskalt um sich tretenden Tank Girls. Mara hingegen hat in ihrem Blick diese panische Leere, mit der wilde Tiere um sich beißen, wenn sie in die Enge getrieben werden.

Trifft ihre Lisbeth dann auf Blomkvist, den sie bei dessen Suche nach der vor 30 Jahren verschwundenen Nichte des Großindustriellen Vanger (Christopher Plummer) unterstützen soll, bricht ihre Zuneigung zu dem spröden Einzelgänger mit fast rührender Sanftheit unter der unnahbaren Schale hervor. Zu Recht ist die 26-jährige Mara am Sonntag für diese Leistung im Rennen um den Golden Globe als beste Hauptdarstellerin.

Der Mensch als isoliertes Individuum und die psychischen Nöte, in die ihn das treibt, sind David Finchers („Sieben“, „Fight Club“, „The Social Network“) angestammtes Thema. Die Geschichte vom aufrechten Reporter Blomkvist, der einem sorgsam verborgenen, düsteren Familiengeheimnis auf den Grund geht, drängte sich da quasi auf.

Finchers gestochen scharfe Ästhetik und seine ruhige Bildsprache lassen das barbarische Treiben, das sich in den Reihen der honorigen Familie Vanger abspielt, noch unfassbarer wirken.

Und Craig? Die vermeintliche Fehlbesetzung? Der verkörpert den moralinsauren Weltverbesserer Blomkvist trotz seiner katzenhaften Eleganz glaubhaft als Zauderer und Hasenfuß, dem die Enthüllungen im Umfeld der Vangers sichtlich zusetzen und die Orientierung verlieren lassen. Wenn menschliche Abgründe zur geistigen Kapitulation zwingen, hilft letztlich auch kein Waschbrettbauch.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort