Strafversetzt in die Provinz

In Frankreich brach „Willkommen bei den Sch’tis“, eine sympathisch bis nervige Lokalkolorit-Burleske, sämtliche Rekorde.

Stellen Sie sich kurz vor, Sie seien Franzose. Nein, kein Baskenmützenträger, das wäre ein Klischee, und dazu kommen wir noch. Nein, stellen Sie sich vor, Sie seien ein filmbegeisterter Franzose, ein Franzose, der Godard und Truffaut zu kommerziell erfolgreichen Regisseuren hat werden lassen, denn in keinem Land der Welt hat die anspruchsvolle Filmkunst einen derart hohen Stellenwert wie in Frankreich.

Und nun stellen Sie sich vor, als ein eben solcher Franzose bekommen Sie einen deutschen Streifen präsentiert, der sich mit den Lokalkolorit bedingten Unterschieden zwischen Bayern und, na sagen wir mal, Friesland auseinandersetzt. Regt sich schon der Unmut in Ihnen?

Über 20 Millionen Zuschauer haben die französische Variante eines solchen Kulturclashs zu Beginn des Jahres in Frankreich gesehen. Die Komödie hat nur ein Thema, die sie genüsslich ausschlachtet: die vermeintliche Beschränktheit der Bewohner eines berüchtigten Landstrichs im Norden Frankreichs, der Region Nord-Pas-de-Calais.

Dany Boon, Regisseur und Hauptdarsteller, ist einer dieser Bewohner, im Dialekt Ch’tis genannt. Wo Restfrankreich ein "s" verwendet, brabbeln die Ch’tis ein "sch" - und umgekehrt. Überhaupt haben sie für jeden Begriff einen eigenen, verschrobenen Ausdruck, sie grüßen sich mit einem retardiert anmutenden "Hä", und ihre Esskultur ist unterirdisch, so man Boons überzogener Hommage an seine Heimat Glauben schenken mag.

In diese Einöde wird der höhere Postbeamte Philippe (Kad Merad) geschickt. Eigentlich wollte er einen Job an der Côte d’Azur, hat sich gegenüber dem Personaler sogar als gelähmt ausgegeben, weil Mitarbeiter mit körperlicher Einschränkung bevorzugt behandelt werden. Allerdings ist er dann, als er die Zusage erhielt, aufgestanden, um sich zu bedanken. Die Abberufung nach Bergue ist also als Strafversetzung zu verstehen.

Philippes Freundeskreis reagiert entsetzt. Zweistellige Minusgrade sollen dort oben herrschen, genauso wie der Stumpfsinn und das Faustrecht. Frau und Kind lässt Philippe bei seinem ersten Besuch vorsichtshalber zurück. Und die schlimmsten Befürchtungen scheinen sich zu bewahrheiten - bis Philippe beginnt, sich an die abgeschiedene Urtümlichkeit der Ch’tis (für den deutschen Titel wurden daraus Sch’tis) zu gewöhnen.

Bei seiner Familie erfindet er Ausreden, um übers Wochenende nicht nach Hause kommen zu müssen. Lieber fährt er mit Postbote Antoine (Dany Boon) Briefe aus, weil es in jedem Haus ein Schnäpschen als Wegzehrung gibt.

Es ist ein liebenswürdiger Film mit viel Sinn für aus Vorurteilen geborenen Slapstick. Für die deutsche Synchronisation wurde ein eigener Dialekt erfunden, der sich phonetisch dem Vorbild angleicht. Christoph Maria Herbst spricht hier Antoine, quasi den Ober-Sch’tis, und genauso wie Philippe muss man sich als Zuschauer an dieses gewollt drollige Kauderwelsch erst gewöhnen.

Tatsächlich funktioniert das aber. Man freundet sich mit den Charakteren an, so holzschnittartig sie auch gezeichnet sein mögen. Boon setzt auf die offensichtliche Konfrontation mit gängigen Klischees, was in seiner Einfachheit auch den Erfolg seines Films in Frankreich erklärt. Als Deutscher kann man an diesem Panoptikum, auch wenn man die Stereotype, die der Film zitiert, nicht kennt, durchaus seinen Spaß haben. Vielleicht ist es sogar unterhaltsamer als eine Geschichte über Bayern und Friesen.

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