„Slumdog Millionär“: Die Antworten des Lebens

Mit „Slumdog Millionär“, einem schlauen Wohlfühlfilm zwischen Bollywood und Sozialstudie, gewann Danny Boyle acht Oscars. Am Donnerstag startet der Film bei uns.

Düsseldorf. Diese Fanfare kennt jeder, ob er will oder nicht. Weltweit hat David Briggs, der Erfinder des Quiz-Formats "Wer wird Millionär?", festgelegt, dass das Studiodesign, die grundlegenden Regeln und die Erkennungsmusik seines Exportschlagers identisch sein müssen.

Wenn in Danny Boyles wunderbarem Neo-Märchen "Slumdog Millionär" eben jener sphärische Synthesizier-Teppich wabert, der die Spannung des Frage-Antwort-Spiels auf die Spitze treibt, fühlt sich der Zuschauer fast schon ein bisschen geborgen. Diese trügerische Sicherheit bricht der Film aber immer wieder auf.

Erzählt wird die Geschichte eines Waisenjungen (Dev Patel) aus den Slums, der es durch einen Zufall auf den Kandidaten-Stuhl der Fernsehshow geschafft hat. Ihm gegenüber der Moderator (Anil Kapoor), der aus ähnlich hoffnungsfernen Verhältnissen zum landesweit gefeierten und beispiellos dotierten Star aufgestiegen ist.

Er mag diesen Jamal nicht, setzt ihm ständig mit herablassenden Bemerkungen zu, um ihn noch mehr zu verunsichern, als er es mit seinen üblichen Kandidaten, Vertretern des wohl situierten Bürgertums, macht. Tatsächlich droht Jamal, an den vermeintlich einfachen Fragen direkt zu Beginn zu scheitern.

Mit seiner erstaunlichen Lebenserfahrung und den damit zusammenhängenden Traumata einer Jugend zwischen religiöser Repression, skrupellosen Kinderhändlern und erniedrigenden Bittsteller-Jobs schafft er es allerdings, bis in die obersten Regionen vorzudringen.

Boyles Film basiert auf dem Buch "Q & A" ("Rupien, Rupien", Kiepenheuer & Witsch) des indischen Diplomaten Vikas Swarup. Dass es sich dabei weniger um eine kritische Gesellschaftsbetrachtung als um eine klassische Entwicklungsgeschichte mit integrierter Love-Story handelt, verleugnet die Leinwandversion des Stoffes nicht.

Trotzdem gelingt es Drehbuchautor Simon Beaufoy, die Erzählebenen so geschickt aufzubauen, dass Jamals Aufstieg vom Straßenjungen zum Volkshelden weder im Klischee erstickt noch der Ruch des Sozialkitschs anhaftet. Die Glücksmomente, die in Rückblicken auf seine Kindheit für ihn unerreichbar schienen, mehren sich mit jeder Gewinnstufe bis zum wohlverdienten Happy End.

Begonnen wird allerdings mit einer Breitseite: Man sieht Jamal mit gefesselten Händen über seinem Kopf an einem Haken hängen, um ihn herum dreckige Kellerfliesen, direkt vor ihm ein bulliger Erfüllungsgehilfe, der ihn bewusstlos prügelt.

Direkt nach Aufzeichnung der Show, in der er die vorletzte von 15 Fragen richtig beantwortet hatte, wurde der 19-Jährige verschleppt. Die Polizei vermutet, er habe getrickst. Nachdem die Folter keine Ergebnisse bringt, kommen dem ermittelnden Beamten Zweifel.

Tatsächlich kann Jamal ihm stichhaltig belegen, dass jede gestellte Frage mit einem Erlebnis aus seiner Kindheit zusammenhängt. Und dass die Definition von Allgemeinwissen stark von der Arroganz der so genannten Bildungselite abhängt. "Wissen Sie, wer letzte Woche all die Fahrräder hier im Viertel geklaut hat?", fragt Jamal den Beamten. "Wir ermitteln noch", gibt der bärbeißig zurück. "Sehen sie", sagt Jamal. "Außer ihnen weiß jeder hier, wer es war."

Völlig zu Recht war "Slumdog Millionär" mit acht Auszeichnungen der große Gewinner der diesjährigen Oscar-Verleihung. Er ist einer dieser Filme, der das Kunststück vollbringt, Witz, Tragik und große Gefühle völlig selbstverständlich miteinander zu verweben. Boyle spart dabei, vor allem in den Rückblenden auf Jamals Kindheit, nicht mit drastischen Bildern. Als Teil der muslimischen Minderheit muss Jamal mitansehen, wie seine Mutter bei rassistisch motivierten Straßenkämpfen um Leben kommt.

Er und sein Bruder Salim (Madhur Mittal) werden von einem Bettlerring vereinnahmt, der Kinder wegen des höheren Mitleidfaktors verkrüppelt. Zwar gelingt den beiden die Flucht, Salim lässt sich allerdings vom schnellen Geld blenden und verhökert Jamals Jugendliebe Latika (Freida Pinto) an einen Drogenboss.

Wie so oft im Märchen muss der Held erst Dreck schmecken. Dass Boyle den Zuschauer mit allen Sinnen mitleiden lässt, bevor sich der Vorhang im ausschweifenden Bollywood-Stil senkt, ist da nur fair.

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