Schauspielerin Helen Mirren im Interview: „Ich bin ziemlich faul“

Die britische Schauspielerin Helen Mirren über ihren Film „Hinter der Tür“, über verblassenden Idealismus und Spaß am Alter.

Düsseldorf. Frau Mirren, haben Sie es gern, wenn Ihre Figur von äußerst dramatischen Ereignissen motiviert wird, oder bevorzugen Sie die subtileren Gestalten?

Mirren: Jede Figur bedeutet eine neue Reise, ein neues Abenteuer. Man trifft einen Unbekannten und möchte ihn durch und durch kennenlernen. Die Rolle in „Hinter der Tür“ aber war wohl meine größte Herausforderung bislang. Verstehen Sie mich nicht falsch: Trittsicher fühle ich mich nie — aber hier schlingerte ich geradezu!

Was machte die Figur der Ungarin Emerenc für Sie so schwierig?

Mirren: Dass ich eigentlich null Ansatzpunkt hatte. Denn ich habe nie gesehen, dass jemand einfach so auf der Straße an einer Laterne aufgehängt wurde. Oder dass deine Nachbarn in ein KZ verschleppt werden oder Panzer vor deiner Tür langfahren. Ich musste alles, was Emerenc ausmachte, erdenken und in meinem Kopf erschaffen.

Was ist der größte Unterschied zwischen dem Anfang Ihrer Karriere und heute?

Mirren: Ich finde, es hat sich ganz wenig verändert. Vor 2000 Jahren bauten die Griechen Bühnen und spielten. Vor 500 Jahren zogen Gaukler durch die Dörfer, errichteten eine Bühne und spielten. Ich glaube, das Bedürfnis Geschichten zu hören, ist tief in der menschlichen DNA verwurzelt. Es kann unterschiedliche Formen annehmen. In meinem Leben hatte es allerdings immer dieselbe — ob Theater, Film oder Fernsehen. Nicht mal das Internet hat darauf Einfluss, weil es nur ein neues Medium ist, um Filme zu schauen.

Ob im Skandalfilm „Caligula“, in „Excalibur“, unter Regisseuren wie Peter Weir oder Peter Greenaway: Sie haben in den 45 Jahren Ihrer Karriere extrem unterschiedliche Rollen gespielt. Gefällt Ihnen Ihre Karriere heute besser als am Anfang?

Mirren: Während man erwachsen und älter wird, verliert man gewisse Eigenschaften und gewinnt dafür andere hinzu. Ich habe einen Teil meines Eifers und meines Idealismus verloren, aber dafür Wissen und Professionalität gewonnen.

Inwiefern meinen Sie, Ihren Idealismus verloren zu haben?

Mirren: Natürlich habe ich mich in Laufe meiner Karriere verändert: Als junge Schauspielerin war ich voller Eifer und Enthusiasmus. Das Theater war wirklich meine Kirche. Ich glaubte fest daran, dass die Bühne eine unverzichtbare moralische Instanz ist, auf der man der Menschheit ihre Fehler vorzuhalten hat, um sie zu wahrer Humanität zu bekehren. Daran glaube ich auch heute noch — aber zusätzlich ist es mir heute auch wichtig, das Publikum gut zu unterhalten und auch im kommerziellen Sinn erfolgreich zu sein. Mein Eifer hat abgenommen.

Ist das Spielen heute für Sie einfacher geworden? Macht es vielleicht sogar mehr Spaß?

Mirren: Es macht definitiv mehr Spaß — oh ja! Ganz sicher! Ich habe manches losgelassen, und das tat mir gut. Das ist der Vorteil am Älterwerden: Dass man vieles loslassen kann, was einem früher so ungeheuer wichtig erschien.

Was sind die Nachteile?

Mirren: Das Offensichtliche: Dass man körperlich nicht mehr so fit ist und den Hügel nicht mehr ohne weiteres rauf- und runterrennen kann. Oder dass man gar nicht mehr rennen kann. Ich bin ziemlich faul, Sport kommt bei mir meist zu kurz. Wenn, dann mache ich nur phasenweise was, kurz vor Drehs — aber auch nur sehr minimal.

Dass Sie etwas Majestätisches an sich haben, liegt nicht nur an Ihrem Adelstitel „Dame“, den Ihnen die Queen 2003 verliehen hat. Ihr Großvater war Mitglied einer aristokratischen Militär-Familie. Achten Sie sehr auf Etikette?

Mirren: Ich vertue mich in Benimm-Dingen leider dauernd. Wenn beim Dinner viel Besteck um den Teller liegt, warte ich lieber, bis die anderen anfangen, um zu wissen, welches Besteck das Richtige ist. Ich greife auch immer zum falschen Brot, also zur falschen Seite. Meist ist mein Nachbar zu höflich, um mir zu sagen, dass ich seins genommen habe, also nimmt er auch das falsche — bis der ganze Tisch meinetwegen durcheinander gerät.

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