Nach dem Europäischen Filmpreis hofft „Ida“ auf den Oscar

Warschau (dpa) - „So“, sagt Wanda, zündet sich eine Zigarette an und mustert ihre unerwartet aufgetauchte Nichte. „Du bist also eine jüdische Nonne.“

Nach dem Europäischen Filmpreis hofft „Ida“ auf den Oscar
Foto: dpa

Die Szene ist ein Schlüsselmoment in „Ida“, dem leisen, beeindruckenden Film des polnischen Regisseurs Pawel Pawlikowski, Beginn eines großartigen Zusammenspiels der beiden Hauptdarstellerinnen.

Den Europäischen Filmpreis hat „Ida“ bereits erhalten, ebenso den Lux-Preis des Europäischen Parlaments. Nun wachsen in Polen die Hoffnungen auf den ganz großen Erfolg: den Oscar für den besten fremdsprachigen Film. Die Entscheidung der Auswahlkommission beim polnischen Filminstitut fiel einstimmig. „Es herrschte kein Zweifel, dieser Film hat die besten Chancen“, sagte Agnieszka Odorowicz, Vorsitzende der Kommission.

Der in schwarz-weiß gedrehte Film ist großes Kino der anderen Art, fast ein Kammerspiel. Er lebt von dem Kontrast der beiden Hauptrollen: Da ist Anna, gespielt von der Philosophiestudentin Agata Trzebuchowska in ihrer ersten Rolle, die in einem katholischen Waisenhaus aufgewachsen ist und als Ordensnovizin vor ihrem Gelübde als Nonne steht.

Kurz vor dem endgültigen Schritt ins Klosterleben drängt die Oberin die junge Frau, ihre Tante zu besuchen, die einzige lebende Verwandte. Wanda (Agata Kulesza) konfrontiert die Nichte mit der Wahrheit, die ihr die Nonnen verschwiegen haben: Sie heißt nicht Anna, sondern Ida Lebenstein und ist die Tochter eines von polnischen Bauern ermordeten jüdischen Paares aus Ostpolen.

Nicht nur polnische Kritiker lobten „Ida“ als Meisterwerk, auch in den USA und in Frankreich rühmten Cineasten und Medien den Film als großartige Leinwandkunst. „Perfekt“, schrieb der britische „Telegraph“, „berückend“ der „Guardian“, der „New Yorker“ nannte das Werk ein „filmisches Meisterstück“. Agata Kulesza als zynische, abgeklärte ehemalige Staatsanwältin, die mit Zigaretten, Alkohol und schnell wechselnden Liebhabern die Familientragödie zu verdrängen versucht und Agata Trzebuchowska als naive Klosterschülerin mit einem Blick voller Unschuld machen „Ida“ zu einem Kunstwerk.

Zugleich reiht sich „Ida“ ein in sowohl ambitionierte als auch erfolgreiche und heftig diskutierte Filme über schwierige Themen der Vergangenheit. War es früher vor allem die Auseinandersetzung mit der kommunistischen Vergangenheit und dem Zweiten Weltkrieg, ist Ida ein weiterer Beitrag zur Diskussion über polnisch-jüdische Themen.

So drehte Agnieszka Holland („Hitlerjunge Salomon“) mit „In der Dunkelheit“ einen Film über Juden, die während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg im heute ukrainischen Lviv in der Kanalisation zu überleben versuchen. Wladyslaw Pasikowski, bis dahin vor allem als Thriller-Regisseur bekannt, erntete im vergangenen Jahr mit seinem Film „Poklosie“ („Nachlass“) Kritikerlob und Hass im Internet. Die Geschichte zweier Brüder in Ostpolen, die in Konflikt mit dem ganzen Dorf geraten, weil sie ein Pogrom an den jüdischen Nachbarn immer wieder zum Thema machen, wurde inspiriert vom Mord an den jüdischen Einwohnern der Kleinstadt Jedwabne während des Zweiten Weltkriegs.

Pasikowski wurde von vielen, die sich als „wahre Polen“ fühlten, als Verräter und Nestbeschmutzer beschimpft, ebenso sein Hauptdarsteller Maciej Stuhr, der im Internet Opfer antisemitischer Attacken wurde. Auch in „Ida“ geht es um Aufarbeitung polnischer Schuld - für manche Hetzer im Internet ein Grund zu abschätzigen Mails statt sich einfach über den internationalen Erfolg eines polnischen Films zu freuen.

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