Gedankenschwere Literatur-Adaption: „Faust“

Berlin (dpa) - Goethes bekanntester Anti-Held tritt wieder als Filmstar in Erscheinung: „Faust“. Dem russischen Regisseur Alexander Sokurow bescherte die opulente, gedankenschwere Literatur-Adaption den Goldenen Löwen, den Hauptpreis des Filmfestivals Venedig.

Der deutsche Dichterfürst Goethe war nicht der erste, und der russische Filmregisseur Alexander Sokurow wird nicht der letzte sein, der fasziniert ist von Dr. Faustus. Die Geschichte des nach höchstem Wissen strebenden Gelehrten hat bereits unzählige literarische, musikalische, theatralische und filmische Werke inspiriert. Sokurow bezieht sich dabei sehr frei vor allem auf Goethes zweiteilige Tragödie - und gewann dafür beim Internationalen Filmfestival Venedig den Hauptpreis, den Goldenen Löwen.

Eine geradlinige Übertragung des Bühnenklassikers auf die Leinwand hatte Sokurow nicht im Sinn. Er drehte einen mal expressionistisch, mal surrealistisch wirkenden Bilderbogen, der vor optischen Einfällen nur so überquillt. Hier ist Faust (Johannes Zeiler) als Mediziner an die Grenzen seines Könnens gelangt. Verzweifelt sucht er den Freitod. Doch Mephisto (Anton Adassinsky), ein gieriger Geldverleiher, hält ihn davon ab. Er verspricht Faust alles. Dafür will er dessen Seele haben.

Alexander Sokurow betrachtet das Werk als Finale seines Filmquartetts um den Themenkreis „Macht und Machtmissbrauch“. Nach „Moloch“, „Taurus“ und „Die Sonne“ - nach Hitler, Lenin und Hirohito - nun also „Faust“, nach Gestalten aus der Historie jetzt ein fiktive Figur. Schon die Frage, wie Faust in diese Reihe passt, gibt den Zuschauern ein Rätsel auf. Es bleibt nicht das einzige.

Der Bilderrausch des Films erklärt nichts. Die Flut an dekorativen Details in Ausstattung und Kostüm dürfte wohl viele im Publikum zu unentwegtem Knobeln führen, was wohl dieses oder jenes bedeuten mag. Da ist die Gefahr, sich in einer Flut ungelöster Fragen zu verlieren, groß. Die eigentliche Geschichte gerät dabei zu diffusem Beiwerk. Unklar bleibt dabei auch, warum der Regisseur die Rollen vor allem mit deutschen und österreichischen Schauspielern besetzte. Den Zugang zum verwirrenden Treiben erleichtert das nicht.

Goethes reiche Sprache wird nur gelegentlich zitiert. Meist erzählt Sokurow über die Bilder, die in der Tat von verführerischer Fülle sind. Da flackern oft Erinnerungen an die Gemälde alter Meister auf. Regisseur Sokurow und Kameramann Bruno Delbonnel, der durch „Die fabelhafte Welt der Amélie“ berühmt wurde, schwelgen in üppigen Arrangements. Dahinter mögen sich zahlreiche Gedanken verbergen. Doch es ist fraglich, ob sich viele zahlende Besucher finden, für das es reizvoll ist, all die kunstvoll versteckten Verweise aufzuspüren.

Zeichnet Goethes „Faust“ weitestgehend eine große Volksnähe aus, verschreckt hier ein nicht selten aufgesetzt anmutender Hang zu Höherem. In Filmkunsttheatern und Arthouse-Kinos hat der Film jedoch sicherlich Chancen, ein begeistertes Publikum zu finden, das seinen Spaß daran hat, durch die assoziationsreiche, gedankenschwere Welt des Alexander Sokurow zu irren.

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