Filmkulisse „Berliner Straße“ in Schutt und Asche

Potsdam (dpa) - Fenster sind zerborsten, in den Hausfassaden klaffen große Löcher, der Boden ist von Holzlatten und Schutt übersät. So sieht es in Filmen nach Explosionen aus.

Im Filmstudio Babelsberg gehört das zum Geschäft - nicht erst seitdem der amerikanische Regisseur Quentin Tarantino in Potsdam seinen Kriegsfilm „Inglourious Basterds“ gedreht hat. Diesmal ist es jedoch keine Illusion: Die Bagger sind angerückt und reißen die legendäre „Berliner Straße ab“.

15 Jahre nach ihrer Erschaffung für Leander Haußmanns Kultfilm „Sonnenallee“ ist die berühmte Kulisse Geschichte. Bis Jahresende sollen die 12 bis 14 Meter hohen Stahlträger abgetragen sein. Der Pachtvertrag läuft aus. Auf dem Gelände unmittelbar neben dem berühmten Filmstudio Babelsberg sollen Wohnungen entstehen - so wie es die Stadt Potsdam vor vielen Jahren beschlossen hat. „Wir verabschieden uns schweren Herzens von der "Berliner Straße"“, räumt Vorstand Christoph Fisser ein. „Der Abriss ist aber auch eine Chance für das Studio.“

Schon bald soll es heißen: „Berliner Straße, die Zweite“. Die Studio Babelsberg AG will eine neue Straße bauen, nach Möglichkeit bereits ab Januar 2014. Rund fünf Millionen Euro sollen dafür in den nächsten zwei bis drei Jahren investiert werden, sagt Fisser. „Wir brauchen als Filmstudio so eine große Kulisse.“ Überlegungen, keine neue Kulisse zu bauen und komplett auf Techniken wie sogenannte Green-Screen- und Virtual-Backlot-Aufnahmen zu setzen, wurden verworfen. „Die Schauspieler brauchen Räume“, berichtet der Studio-Chef. „Wenn alles Grün ist, ist es schwer, sich zu bewegen.“

Für Studio und Filmemacher ist die Kulisse auch aus finanzieller Sicht attraktiv: Außendrehs sind meist kostenspielig. Außerdem fallen Behördengänge für die Genehmigung von Dreharbeiten weg. Anwohner werden nicht behindert, Umbauten sind jederzeit möglich. Dank ihrer Wandlungsfähigkeit kann die „Berliner Straße“ Jahrgang 1900 oder auch 2000 darstellen. „Diese Flexibilität gibt es nicht oft“, erklärt Kulissenbauer Dierk Grahlow. „Die Holzplatten sind angeklemmt. Je nachdem, was gewünscht ist, wird umgebaut.“

Entstanden ist die „Berliner Straße“ auch aus einer Not heraus: Als Regisseur Haußmann 1998 für seinen Streifen „Sonnenallee“ einen Berliner Straßenzug im Prenzlauer Berg der 1970er suchte, wurde er nicht fündig. „Alle Versuche, die DDR darzustellen, sind schief gegangen. Zehn Jahre nach der Wende war nichts mehr da“, berichtete Haußmann später. Der Regisseur brauchte jedoch Straße samt erhaltenem Berliner Mauerstück inklusive Grenzübergang.

Ein glücklicher Zufall wollte es, dass parallel im Filmstudio die Idee existierte, ein kontinuierliches Set zu bauen. Der Standort wollte sich in den wirtschaftlich schwierigen Jahren nach der Wende profilieren. Auch Dank der 7000 Quadratmeter große Dauerkulisse ist dies Babelsberg gelungen.

Roman Polanski diente die „Berliner Straße“ als Warschauer Ghetto im oscarprämierten „Der Pianist“. In Tarantinos „Inglourious Basterds“ zeigte sie Paris. Für „The Book Thief“ wurden die ursprünglich 26 Hausfassaden zuletzt erweitert auf 38. Fernsehzuschauern ist die berühmte Kulisse unter anderem durch den ZDF-Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ bekannt. In insgesamt rund 350 Filmen ist sie zu sehen, erklärt Studio-Sprecher Eike Wolf.

Auch in der neuen Kulisse sollen Gebäude mit vier Stockwerken stehen. Zugleich soll sie jedoch alle technischen Finessen haben und ein einfaches Umschalten auf Digitalaufnahmen ermöglichen. Vom Vorgänger sollen die Pflastersteine wieder verbaut werden, ebenso alte Fenster- und Türelemente. Das Studio hofft auf ein Grundstück in unmittelbarer Nähe zu seinem Art Departement. Die Verhandlungen laufen. Fisser ist jedoch zuversichtlich, dass ein Pachtvertrag in Kürze abgeschlossen werden kann.

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