Drama: Die andere Seite des Stacheldrahts

„Der Junge im gestreiften Pyjama“ wird der Vorlage nicht gerecht.

Der Film gibt sofort preis, was das Buch nur durch die Zeilen scheinen lässt. Berlin, Anfang der 40er Jahre: Hitler hat Deutschland fest im Griff, die Hakenkreuzfahne flattert von den Häusern und die Menschen haben sich eingerichtet in diesem System.

Zumindest die, die von der neuen Ordnung profitieren. Und so einer ist Brunos Vater. Mit Hochachtung begegnet man ihm, seine Macht ist deutlich spürbar. Der Zuschauer ist im Bild, schon viele Male hat er Szenen wie diese gesehen.

Der achtjährige Junge (Asa Butterfield) ist entsetzt, dass er sein Zuhause und seine Freunde verlassen muss. Eine Beförderung versetzt ihn mitsamt Mutter, Schwester und eben dem Vater in schneidiger Uniform an einen scheinbar verlassenen Ort im Wald.

Bis Bruno durch sein Zimmerfenster Menschen entdeckt, die er für Bauern hält. Sein Forscherdrang ist geweckt. An einem Stacheldrahtzaun trifft er einen Jungen. Shmuel trägt einen gestreiften Pyjama.

Immer, auch am Tag. Bruno möchte unbedingt, dass sie Freunde werden. Seine Sehnsucht nach Abenteuer beflügelt seine Phantasie. Und schon bald scheint es ihm, als sei die Welt jenseits des Zaunes viel verlockender als seine eigene. Die Tragödie beginnt.

Regisseur Mark Hermann ("Brassed Off - mit Pauken und Trompeten") hat John Boynes Roman auf die Kinoleinwand gebracht. Dabei schafft er aber gerade das nicht, was dieses Buch so besonders macht: Boyne hat konsequent aus der Perspektive des Jungen erzählt.

Der Name Hitler fällt nicht, das Hakenkreuz kommt nicht vor und für Bruno gibt es kein Judenproblem. Er erkundet die Welt um sich herum. Warum sollte er nicht darauf kommen, dass jenseits des Stacheldrahtes die Menschen spielen? Schließlich sehen sie aus wie verkleidet und laufen alle in bestimmte Richtungen, wenn eine Pfeife ertönt.

In der Annäherung der Jungen erfährt man die Grausamkeit - subtil und anrührend. Im Film ist all das zu offensichtlich. Fast schon naiv erscheint einem die ständige Fragerei des Jungen am Stacheldrahtzaun. Andere Konflikte treten hinzu:

Wie hatte die Mutter (Vera Farmiga) nur so lange ihre schönen Augen verschließen können vor dem, was ihr Mann (David Thewlis) als Lagerkommandant zu verantworten hat?

Wie täuschen sich diese Menschen, die ja zu einem liebevollen Familienleben fähig sind, um ihre eigene Schuld zu tragen? Das ist solide inszeniert, doch um diese Fragen zu beleuchten, ist der Roman sicher nicht die richtige Vorlage.

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