Cooler Neo-Noir: Ryan Gosling in „Drive“

Hamburg (dpa) - Ryan Gosling ist der Shooting Star der vergangenen Monate. Er verführte in „Crazy, Stupid, Love“ und kämpfte sich in „Die Iden des März“ von George Clooney durch die Untiefen der Politik.

Nun der US-Amerikaner mit dem melancholischen und doch brutalen Actionfilm „Drive“ in die Kinos.

Darin spielt er einen Stuntman, der nachts als Fluchtfahrer durch die Straßen rast und plötzlich selbst in ein Verbrechen gerät.

Es sind diese maskenhafte Mimik von Ryan Gosling, die Aura der Verlorenheit und tiefen Melancholie und die Präzision, mit der er in „Drive“ sein Auto lenkt. Diese lassen den Zuschauer nicht mehr los, nehmen ihn von Anfang an gefangenen, erzeugen eine beklemmende Spannung von der ersten Minute an.

Stumm, dabei hochkonzentriert und absolut gelassen zugleich steuert er in den ersten Minuten dieses fast verstörenden Actionfilms einen Fluchtwagen mit Dieben durch das nächtliche Los Angeles. Einen Namen hat er nicht, denn nach jedem Job verschwindet er wieder in die Anonymität. Und doch ahnt man, dass es hinter dieser roboterhaften, fast emotionslosen Fassade brodelt. Es dauert, bis er diese Maske fallen lässt, zu packen bekommt man die Figur deshalb noch lange nicht.

Driver ist Stuntman und im Nebenjob Fluchtfahrer. Seinen Kunden gibt er ein Zeitfenster von fünf Minuten, mehr nicht und an den bewaffneten Einbrüchen selbst beteiligt er sich auch nicht. Driver ist ein Einzelgänger, macht wenig Worte, sein Appartement ist spärlich eingerichtet. Wenn er dort ist, bastelt er an Autoteilen herum. Freunde hat Driver nicht, mit Ausnahme des kleinkriminellen Shannon, der sich als sein Agent auch um Drivers Jobs kümmert, tags wie nachts. Er will den jungen Stuntman ganz groß rausbringen und aktiviert dafür alte Freunde als dubiose Geldgeber.

Eines Tages trifft Driver Irene (Carey Mulligan), die in dem anonymen Appartementhaus mit ihrem kleinen Sohn neben ihm lebt. Tatsächlich entwickelt sich eine zarte Freundschaft zwischen den Dreien und der kühle, reglose Driver scheint tatsächlich Gefühle zu entwickeln, die Gosling lediglich mit zarten Gesten, seinen starren Blicken andeutet. Ansonsten erzählt der dänische Regisseur Nicolas Winding Refn diese Liebesgeschichte nahezu körperlos.

Als Irenes Mann Standard frühzeitig aus dem Gefängnis entlassen wird, kommt es nicht etwa zu männlichen Machtkämpfen um die Frau, Driver zieht sich zurück. Als er Standard eines Tages blutverschmiert und fast halbtot in der Tiefgarage entdeckt, und der kleine Sohn verstört daneben steht, ist er plötzlich in einen Racheplott und Mafia-Krieg verwickelt, an dem seine eigenen Geldgeber beteiligt sind.

Nicolas Winding Refn inszeniert die Geschichte in einer kühlen Großstadt-Ästhetik, die Straßen sind meist leer, knallbunt schillern darin die Leuchtreklamen von Nachtclubs und Supermärkten. Jedes Bild ist dabei bis auf kleinste durchkomponiert, symbolisiert urbane Einsamkeit, die an Edward Hoppers Gemälde und den 80er Jahre Style erinnern. Doch diese kühle Bildsprache bricht er zusehends auf. Plötzlich ist alles nicht mehr so clean, sondern blutverschmiert, schmutzig. Drivers zusehends verdreckende weiße Jacke mit dem riesigen Skorpion auf dem Rücken dokumentiert dies sehr bildhaft.

Und mit zunehmenden Verschmutzungsgrad der Jacke zeigt auch Driver sein zweites Gesicht. Plötzlich bricht sich unverhältnismäßige Gewalt ihre Bahn durch die kontrollierte Fassade, allerdings nur im Sinne der Gerechtigkeit und zum Schutz der scheuen, immer etwas rehhaften Irene.

Doch trotz der Schnelligkeit der Verfolgungsjagden, der Brutalität der Kampfszenen lässt sich Refn Zeit, komponiert eine Art Genremärchen, denn nie lässt er das Gefühl von Realismus aufkommen. Alles ist künstlich und irgendwie unwirklich. Auf die Geschichte nach einem Groschenroman von James Sallis kommt es dabei nicht sonderlich an, sondern einzig auf den großartig reduziert spielenden Gosling und Refns Inszenierung. Dafür wurde er bei den Filmfestspielen in Cannes im vergangenen Jahr bereits als bester Regisseur ausgezeichnet.

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