Kultur Der böse Blick auf die lieben Zeitgenossen

Erste Retrospektive über das Frühwerk von Otto Dix, der in Düsseldorf vom Bürgerschreck zum großen Porträtisten heranreifte.

Otto Dix: „Dienstmädchen am Sonntag, 1923, Aquarell und Bleistift.

Otto Dix: „Dienstmädchen am Sonntag, 1923, Aquarell und Bleistift.

Düsseldorf. Otto Dix (1891-1969) kam 1922 als Skandal- und Krawallmacher aus Dresden ins Rheinland. Hier fand er Kunden, Galeristen und Martha, seine Geliebte und spätere Ehefrau. Bis Herbst 1925 machte er gleichsam eine Start-up-Karriere, fand zur Porträtkunst und erlernte an der Kunstakademie die Radier- und Lasurtechniken. Kurzum: Aus dem Bürgerschreck wurde ein Künstler, der sich seiner Genialität bewusst war und wie ein Chamäleon diverse Rollen spielte. Die grandiose Ausstellung, die Kuratorin Susanne Meyer-Büser für die Kunstsammlung NRW am Grabbeplatz herausbrachte, steckt zugleich voller Humor, so dass selbst gestrenge Kunstkritiker mit einem Lächeln auf den Lippen durch die Schau ziehen.

Bildnis der Kunsthändlerin Johanna Ey, Öl auf Leinwand, 1924.

Bildnis der Kunsthändlerin Johanna Ey, Öl auf Leinwand, 1924.

Foto: Kunstsammlung NRW/ Walter Klein/ Museum Kunstpalast. Alle Fotos © VG Bild-Kunst, Bonn 2016

Ulrich Zickler aus Zürich entwickelte die Ausstellungsarchitektur. Er liebt wie Dix das Hakenschlagen. Er baut die Wände wie Wohnblocks in einer Großstadt. Geht der Besucher um den jeweiligen Block herum, kommt er gleichsam zur nächsten Straßenkreuzung oder zum Ausgangspunkt zurück — eine sinnige Inszenierung für einen Künstler, der sich auf der Straße bei Bordelldamen und Dienstmädchen seine Motive holte.

Bildnis von Franz Radziwill (Ausschnitt), 1928.

Bildnis von Franz Radziwill (Ausschnitt), 1928.

Foto: Kunstsammlung NRW/ Walter Klein/ Museum Kunstpalast. Alle Fotos © VG Bild-Kunst, Bonn 2016

Mit Dandy-Pose und proletarischer Attitüde startete Dix seine Jagd auf Menschen. Sein erster Kontakt in Düsseldorf war der Urologe, Sammler und Kunsthändler Dr. Hans Koch, den er in einem satirischen Bild festhielt, das leider den kurzen Weg von Köln nach Düsseldorf aus konservatorischen Gründen nicht nehmen durfte. Es war das erste bezahlte Porträt, das Dix malte, und der Anfang seiner Karriere am Rhein. Koch war mit Martha verheiratet und hatte mit ihr zwei Kinder. Doch wie im Bäumchen-Wechsel-Dich verliebte sich Martha in Dix, und Koch nahm Marthas Schwester, die Marthas Kinder aufzog. Dix aber wurde mit Martha ein ganzes Leben lang glücklich.

Was diese Ausstellung auszeichnet, ist die Kunst als Augenweide und intellektuelles Spiel. Die Gabe, mit allen Sinnen zu malen, zu aquarellieren und zu radieren, scheint in unserer Zeit weitgehend verloren gegangen zu sein. Dix selbst aber betonte: „Jede Kunst für sich spricht zu allen Sinnen und Kräften.“

Den Auftakt macht ein Gemälde von 1919 mit Leda und dem Schwan. Das Tier ist recht lüstern in eine Schöne mit Ballonbusen vernarrt und stürzt sich gierig auf sie. Das Bild bezeugt die Endphase eines expressiven Futurismus. Fortan läutert sich der Stil des Malers zur Neuen Sachlichkeit.

Er porträtiert nun Freunde und Gönner. Museumschef Paul Ferdinand Schmidt aus Dresden gehört dazu. Sein Bild imponiert durch den Kontrast zwischen der schmächtigen Figur und dem ironischen Lachen. Fortan pflegt der Maler den klaren, sezierenden Stil der 1920er und 1930er Jahre.

In über 70 Gemälden, Aquarellen und Zeichnungen widmet er sich Martha. 1923 zeigt er sie als Dame aus großbürgerlicher Gesellschaft mit weiß geschminktem Gesicht, knallrotem Hut, aber nur mit einem weißen Glacé-Handschuh, während die zweite Hand die natürliche Hautfarbe zeigt. „Mutzli“, wie er sie nennt, trägt Kappen und Hüte oder betört durch ihre Haarpracht.

Gegenspielerin ist Johanna Ey, die ihm die ersten Bildverkäufe vermittelt. 1924 malt er die korpulente Kunsthändlerin mit den fleischigen Fingern und dem violetten Kleid, das von El Greco stammen könnte. Wie eine Herrscherin drapiert er sie vor einem kolossalen Samtvorhang. Aus ihren runden Brillengläsern blickt sie skeptisch auf den Betrachter. Das Bildnis ist der Anlass für die Düsseldorfer Ausstellung, wurde doch die einstige Dauerleihgabe 2016 angekauft.

Ein weiterer malerischer Höhepunkt ist das Bildnis der Tänzerin Anita Berber, der berühmten Femme fatale der Weimarer Zeit. Ein schlangenähnlicher Körper steckt in einem hautengen, roten Kleid, das die selbstbewusste Person umschließt. Sie blickt aus ihrem geschminkten, maskenhaften Gesicht ins Nirgendwo.

Manche Personen bekommen in den Gemälden ihr Fett weg: Der Kunsthändler Alfred Flechtheim wird mit flacher Stirn und blasiertem Blick wiedergegeben, als denke er nur ans Geld und an seine Kubisten, von denen sich Dix gerade abgewendet hat. Der Malerkollege Franz Radziwill erscheint wie ein Dorfdepp. Der Schauspieler Heinrich George sprengt mit einer kolossalen Körperfülle fast den Bilderrahmen. Der Fotograf Hugo Erfurt blickt parallel zu seinem Hund in die Ferne. Und die Liegende auf dem Leopardenfell hat hinter dem ausgestopften Tier eine lebendige Wildkatze.

Nur das Gemälde von Julius Hesse wirkt gnädig, hat doch der Inhaber der Farbenfabrik Schmincke & Co dem Maler manchen Farbtopf zukommen lassen. Dix gibt ihm ehrerbietig eine Farbprobe in die Hand.

Die Schönen, die Prostituierten hinterm Trauerschleier, die prallen Brüste und geilen Seemänner sind jedoch nicht alles. Es entsteht zugleich der grandiose Zyklus zum Krieg, in dem Dix seine Erfahrungen von 1915 bis 1918 als Maschinengewehrschütze und Führer einer MG-Truppe an der West- und Ostfront verarbeitet.

Er verabschiedet sich aus dem Rheinland mit einem Selbstporträt als souveräner Meister seines Fachs und zieht mit der Familie nach Berlin.

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