Theater Düsseldorfs neue Dschungel-Könige

Düsseldorf · Robert Wilson setzt das „Dschungelbuch“ in Szene – und liefert eine leichte Revue mit schönen Bildern und launiger Musik.

 Ein angenehm schlichtes Bühnenbild lässt den Dschungel erahnen: Judith Bohle, Ron Iyamu, André Kaczmarczyk und Sebastian Tessenow (v.l.).

Ein angenehm schlichtes Bühnenbild lässt den Dschungel erahnen: Judith Bohle, Ron Iyamu, André Kaczmarczyk und Sebastian Tessenow (v.l.).

Foto: Lucie Jansch

Eine Leuchtreklame blinkt und lockt das Findelkind Mowgli in eine Fantasiewelt. Den kleinen Jungen, dem Rudyard Kipling einst mit dem „Dschungelbuch“ ein Denkmal setzte. Generationen rund um den Globus sind mit Baloo, dem Bär, und Kaa, der Schlange, groß geworden. Auch Robert Wilson wurden die Geschichten im Kindesalter im amerikanischen Texas von seiner Tante vorgelesen. Heute mit 78 Jahren erobert er als Grandseigneur, Lichtzauberer und weltweit gerühmter Theater- und Opernregisseur seine Kindheit zurück. Und setzt den Klassiker im Düsseldorfer Schauspielhaus in Szene – als Mischung aus Bilderbuch und Nummern-Revue mit flockig-schnurrigen Songs für die ganze Familie.

Beim Applaus ist die Begeisterung geradezu demonstrativ

Gefeiert wurden Wilson und das amerikanische Folk-Pop-Duo „Coco Rosie“ (Musik und Songs) mit stehenden Ovationen – und könnten Düsseldorfs neue „Dschungel-Könige“ werden. Zumindest Könige an der Theaterkasse, denn schon vor der Premiere war die Nachfrage nach Tickets immens. Ähnlich war der Jubel im Pariser Théâtre de la Ville, wo Wilson schon vor zwei Wochen die gleiche Inszenierung in französischer Sprache mit französischen Darstellern herausbrachte.

Klar, dass der Design-Ästhet kein naturalistisches Natur-Chaos auf die Bühne bringt. Alle Mensch-Tiere, die der kleine Junge – seiner Eltern beraubt – auf seiner Reise in die Wildnis trifft, tragen meist hautenge Kostüme. In leuchtenden Farben wie Mowgli (Cennet Rüya-Voß) in Rot, oder – wie Panther Bagheera auf High Heels – in Nachtclub-Schwarz. Seinen langen Stoff-Schwanz (am Ende mit Glitzermikrofon) trägt der Panther wie eine Schleppe im Arm. Als androgynes Wesen (erneut eine Paraderolle für André Kaczmarczyk) erzählt Frau/Herr Panther, der bei Menschen aufwuchs, von Gefangenschaft und Befreiung und tröstet Mowgli später, wenn er aus dem Dschungel vertrieben wird, mit dem Lied  „Lass die Tränen nur fließen, sind ja nur Tränen.“

Ob Bagheera, Baloo in Teddybär-Karo-Montur (Georgios Tsivanoglou) oder Shere Khan (Sebastian Tessenow) als stolz lasziver Königstiger  – sie überzeugen. Der Tiger schnurrt laut und kratzt mit seinen langen, knallrot lackierten Tatzennägeln. Sie alle, auch Herr und Frau Wolf, mutieren in Wilsons Urwald zu Go-Go-Boys und -Girls: Sie wippen, kreisen mit Elvis-Becken, tanzen Jazz, Swing, trippeln Revueschrittchen.

Dann stöhnen, schnurren, brummen, grummeln sie. Oder mimen Verzweiflung, wie der Tiger, und fauchen lüstern „Nobody loves me, nobody needs me“. Ein Song, der, wie manch andere aus der Feder der Coco-Rosie-Sisters, das Zeug zum Ohrwurm hat. Eingängige Melodien am laufenden Band; zum Mitsummen ist zum Beispiel der Finalsong „It’s the law of the jungle“ (Gesetz des Dschungels). Die Zuschauer klatschen am Ende im Rhythmus mit.

Als Erzählerin fungiert Frau Elefant: die zarte Rose Enskat (eine Luxusbesetzung!) mit Riesenohren. In wallendem Nachthemd mit Rüschenspitzen mimt sie die gute alte Märchentante und singt „I’m a rump without a roast“. Surreale Songs, die aus dem Munde von Wilsons Fabelwesen wie Botschaften aus einer anderen, nicht mehr ganz so unschuldigen Dschungelwelt klingen.

Angst vor zu viel Leichtigkeit
hat der Regisseur nicht

Für brisant politische Botschaften aus bedrohtem Urwald ist der amerikanische Starregisseur nicht zu haben. So ist auch für Pflanzen-Wildwuchs in diesem gezirkelten, manikürten „Noble-Jungle“ mit farbigen oder schwarz-weißen Scherenschnitt-Bildern kein Platz. Wie Weihnachtsdekoration schauen daher die Reihen von Mini-Tannen am Bühnenrand aus: Manchmal tauchen Mowgli und seine Tier-Kumpane (wie ein Brüll-Affe in einer Reifen-Schaukel) ein – in oder zwischen kurzgeschorene Grasnarben. Bilder, die an naiv romantische Malerei erinnern, munter und heiter wirken, manchmal auch vor Komik sprühen. Getragen und begleitet werden die Mimen von einer Live-Band mit Klarinette, Klavier und Violine unter Sven Kaiser.

Unterhaltsame Harmlosigkeit und allzu viel Leichtigkeit könnte man dieser Robert-Wilson-Show vorwerfen. Doch verspricht er auch nichts anderes als einen Abend für die ganze Familie, von acht bis 80 Jahren. Genau dieses Versprechen lösen er, seine Bilder und die erste Schauspieler-Garde ein. Und das in 90 Minuten, die wie im Fluge vorüberziehen.

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