Ovationen für neue „Cabaret“-Inszenierung im Düsseldorfer Schauspielhaus Pompöse Show, seichtes Schauspiel

DÜSSELDORF · Willkommen im „Cabaret“, genauer im Kit-Kat-Club, in dem permanent aufgekratzte Partylaune herrscht. Vermutlich unter Einfluss von rieselnden Drogen feiern, tanzen und singen „Ladies und Gentlemen und die dazwischen“, wie der Conférencier, eine Mischung aus Mephisto und lüsternem Zirkusdirektor, nicht müde wird, sein Publikum anzuheizen.

 Regisseur André Kaczmarczyk (M.) tobt sich auf der Bühne als Conférencier aus.

Regisseur André Kaczmarczyk (M.) tobt sich auf der Bühne als Conférencier aus.

Foto: Thomas Rabsch

Schrill, laut und betont obszön ist die Stimmung im angesagten Partytempel im Berlin der frühen 1930er Jahre – kurz bevor die Nazis die Macht ergreifen. Jungs mit Jungs, Mädchen mit Mädchen, kreuz und quer, jeder mit jedem. Hemmungslos mit rausgestreckter Zunge, viel nackter Haut und Muskelspiel unter knallenger Lack- und Leder-Montur. Die Hände häufig an den Genitalien der anderen.

Und dazu die unverwüstlichen Songs von Fred Ebb und John Kander, die beim Finale fast immer mit Ovationen gefeiert werden. Wie auch nach der XXL-Show in mächtig schwüler „Cabaret“-Stimmung, die das Düsseldorfer Schauspielhaus mit einer technisch aufwendigen Musical-Inszenierung herausbringt. In der Regie von André Kaczmarczyk, der sich gleichzeitig als allgegenwärtiger Conférencier in Szene setzt und sich nach Herzens Lust als androgynes Wesen austobt, in hautengen Netz-Trikots oder als melancholische Diva in blauem Federpomp. Angefeuert und live begleitet wird die zündende Glitzershow von der „Kit-Kat-Klub-Band“ von Matts Johan Leenders, der stets Kaczmarczyks Musikprojekte zu musikalischen Erfolgen geführt hat.

So schnellen hier die Temperaturen in die Höh‘ – dank Leenders fetzigen Rhythmen von Jazz und Ragtime. Die Band entfacht (mit der Orchesterfassung von Chris Walker) einen röhrenden ansteckenden Sound, der es mit amerikanischen Revuen aufnehmen kann. Einige Songs wie „Money, money“ mutieren mit Goldregen aus dem Futteral des Conférencier-Fracks zu Revuenummern. Besonders wenn Kaczmarczyk rauchig ins Mikro haucht oder grell aufdreht. Die berühmte Sally Bowles steht (im Duo) meist in seinem Schatten, wenn auch Lou Strenger in ihren Ohrwurm-Liedern überzeugt.

In Düsseldorfs Kult-Inszenierung von 1986 stand indes die verruchte Revuesängerin Sally, die sich in den bisexuellen englischen Schriftsteller Cliff Bradshaw verliebt, im Zentrum. Unvergesslich die Koproduktion mit Paris unter dem Magier Jérôme Savary und Ute Lemper, die als Sally in Düsseldorf ihre Weltkarriere startete – und am Broadway landete. Ein Vergleich der grandios tanzenden und singenden Musicaldarstellerin und Ausnahme-Begabung Lemper mit Lou Stenger wäre unfair. Dennoch erinnern sich ältere Zuschauer bei „Cabaret“ an den natürlichen Sex-Appeal der damals jungen Lemper. Stenger gibt in „Mein Herr“ ihr Bestes, ist aber keine Profi-Tänzerin.

Die Handlung der Lovestory im lesbisch-schwulen Milieu bei langsam beginnendem Nazi-Terror wird zwar erzählt – wie Cliff beim „Fräulein Schneider“ als Mieter unterkommt und sich in Sally verliebt, wie schwarze Uniformen verbale und körperliche Angriffe gegen den Juden starten. Politische Aussagen kommen in Szenen über die Rampe, wie zum Beispiel Obsthändler Schultz Fräulein Schneider ehelichen will. Ihr wird aber von Nazi Ernst Ludwig abgeraten, weil Schultz doch Jude, also „nicht deutsch“ sei.

Die Kulissen werden unvermittelt hereingeschoben. Doch die Art, in der bekannte Mimen wie Rose Enskat (Fräulein Schneider), Claudia Hübbecker (als leichtes Mädchen Fräulein Kost), Belendjwa Peter (als schüchterner Cliff) agieren, kommt flach über die Rampe. So wirken reine Schauspielszenen zäh und die Dialoge flach und banal. Mehr noch: Sie sind nicht mehr als sentimentaler Polit-Kitsch. Das passt zu Kaczmarczyks aufgedonnertem Showbusiness im Look der 1930er Jahre (Bühne: Ansgar Prüwer) inklusive Stepp-Tanz-Einlage des Ukrainers Yaroslav Ros: Nachdenkliche Zwischentöne sind nicht mehr als reine Pose, und Parallelen zu aktuellen Tyranneien werden erst gar nicht angedacht. Dabei entsprechen einige Aussagen der Situation 2022, etwa wenn Sally Bowles und Herr Schultz darauf hoffen, der braune Spuk sei bald vorüber. Fazit: Pompöse Show, ultraseichtes Schauspiel.

9., 19., 29. Nov., 7., 10., 22., 31. Dez., 6. Jan., 14. Feb. 2., 20. März
Tel.: 0211/369911

Meistgelesen
Neueste Artikel
Kommissar Henry Koitzsch (Peter Kurth, M.)
Liebe und Hass in der Vorstadt
Peter Kurth und Peter Schneider ermitteln im „Polizeiruf“ nach einem Kindsmord in Halle/SaaleLiebe und Hass in der Vorstadt
Zum Thema
Aus dem Ressort