Viel Applaus für Jelineks neues Stück

München (dpa) - Viel Applaus und von Empörung keine Spur: Das neue Theaterstück von Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek hat das Münchner Theaterpublikum begeistert. Ein Skandal wie bei der Aufführung von „Rechnitz (Der Würgeengel)“ im vergangenen Jahr in Düsseldorf bleib aus.

Da hatte ein aufgebrachter Zuschauer sogar eine Theater-Mitarbeiterin bespuckt. Bei der Uraufführung am Donnerstagabend gab es für Jelineks „Winterreise“ viel Applaus.

Das lag vor allem an einem Mann: Kammerspiel-Intendant Johan Simons gelang es in seiner Inszenierung, die versteckte, tragische und bitterböse Komik aus dem sperrigen und düsteren Stück herauszukitzeln. Jelineks Vorlage - einen 77 Buchseiten langen, wortgewaltigen Monolog - kürzte er auf rund drei Bühnenstunden. Er arbeitete Figuren aus dem sprunghaften Gedankenfluss heraus und ließ sie auf „brechtscher“, episch-schlichter Bühne vor großer schwarzer Wand auftreten.

Die Episode über das Entführungsopfer Natascha Kampusch zum Beispiel inszenierte er als mediale Hexenjagd auf ein verstörtes Kind, das seine Rolle in der Gesellschaft zu finden versucht, indem es andere imitiert und sich schwertut damit, den richtigen Ton zu finden. Der Belgier Kristof van Boven zeigt eine grandiose schauspielerische Leistung und brilliert als Kindfrau auf der Suche nach Identität, der nach einer kurzen Zeit der Anteilnahme der öffentliche und mediale Hass entgegenschlägt. „Sie ist doch draußen - was will sie denn noch? Unsere Schmerzen schweigen doch auch - warum sie nicht?“, fragt der Mob.

Eine „tragische Komödie“ hatte Regisseur Simons versprochen. Und besonders tragisch wird das Stück, wenn Jelinek persönlich wird. Da erinnert sich eine Frau (Wiebke Puls) mit Wehmut an den Geschmack von Erdbeerjoghurt - den Geschmack ihrer Kindheit - und beklagt, dass sie nie einen Mann finden wird, der sie so liebt wie ihre Mutter (Hildegard Schmahl).

Die Beziehung zu den Eltern nimmt einen großen Teil von Jelineks neuem Werk und auch von Simons Inszenierung ein. Im Mittelpunkt steht der kranke Vater, der in die Psychiatrie eingewiesen wurde. „Ihr wisst genau, dass ich so nicht hätte leben wollen“, lässt die Autorin den alten Mann auf der Bühne sagen, der sich von Ehefrau und der „bösen Tochter“ verlassen und verraten fühlt - eine anrührende, wenn auch sehr in die Länge gezogene Vorstellung von Schauspieler André Jung. Nicht nur nach Auffassung von Regisseur Simons ist „Winterreise“ Jelineks bislang persönlichstes Stück geworden.

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