Premiere : Verwirrende „Glut“ in Worms
Worms (dpa) - Um es gleich zu sagen: Auch im neuen Stück der Wormser Nibelungen-Festspiele überleben Hagen und Co. nicht - ebenso wie ihre Feinde. Eine falsch verstandene Geste ist der Grund, weshalb sie sich am Freitagabend vor dem Wormser Dom gegenseitig umbringen.
Doch bis es dazu kommt, hat das spielfreudige Ensemble um Regisseur Nuran David Calis das im Jahr 1915 verortete Stück „Glut. Siegfried von Arabien“ von Albert Ostermaier mit Tempo auf die sandige Bühne gebracht - mit vielen Anspielungen auf die Gegenwart, vom Dschihad über Waffenlieferungen bis zur Lage in der Türkei.
„Es ist ein Stück höchster Brisanz und größter Beklemmung“, sagt der Medienpsychologe Prof. Jo Groebel. Für ihn ist es „eine der besten Aufführungen in Worms“.
Brisanz erhält das auf mehreren thematischen Ebenen spielende Stück auch durch seine historischen Bezüge. Im Ersten Weltkrieg wollten deutsche Strategen die Briten und deren Verbündete zusätzlich schwächen, indem sie Völker und Stämme im Nahen Osten zum Dschihad, zum sogenannten Heiligen Krieg, gegen die anderen aufriefen. Einer der Deutschen war Hauptmann Fritz Klein, „Spross einer der bedeutendsten Unternehmerfamilien des Siegerlandes“, wie der Historiker Veit Veltzke schreibt. Ostermaier hat den Offizier und dessen Adjutanten Edgar Paul Stern zu treibenden Kräften in „Glut“ gemacht.
Das Roadmovie, wie der Autor das Stück bezeichnet, spielt überwiegend in der Bagdadbahn, in der illustre Vertreter europäischer Weltkriegsmächte nach Osten reisen. Den größten Platz nehmen Klein (Heio von Stetten) und seine Theatertruppe „Notung“ ein, die - mit einem Stück über die Nibelungen im Gepäck - zu Scheich Omar (Mehmet Kurtulus) nach Basra fahren. Den mächtigen Mann wollen alle Parteien für sich gewinnen. Klein setzt dabei auf Theater. „Durch was können wir Deutschen mehr überzeugen als durch die Überlegenheit unserer Kultur!“, lässt Ostermaier ihn tönen. Doch das Projekt ist nur Tarnung: Die Gruppe mit dem theaterbegeisterten Leutnant Stern (Till Wonka) an der Spitze besteht aus bewaffneten Agenten, die die Ölpipelines der Briten in die Luft jagen wollen.
Stern, dem mitunter eine an Hitlerreden erinnernde Sprechweise herausrutscht, sieht sich als geborenen Siegfried - und stört sich nicht an Kommentaren, die einen Widerspruch sehen, weil er Jude ist. „Ich bin als Jude deutscher als Sie als Deutscher je deutsch sein könnten“, kontert er - und lässt offen, ob es sich dabei um ein Stern-Statement oder um Text aus dem „Notung“-Stück handelt. Szenenapplaus erhält Stern-Darsteller Wonka für einen irrwitzigen Monolog über Siegfried, dessen hinzugedachtes Judentum und die Liebe („Siegfried siegt durch Frieden, Siegfried ist der Siegfrieden!“).