Theaterfestival: Hans Peter Litscher - Des Lebens bunte Macht

Der Geschichtenerzähler Hans Peter Litscher balanciert auf dem Drahtseil der Wahrscheinlichkeit.

Mülheim/Essen. Ob an dieser Geschichte irgendetwas stimmt, ist zweifelhaft. Denn Hans Peter Litscher ist ein begnadeter Geschichtenerzähler. In seinem grauen Anzug mit geflochtenem Zopf und den Lagerfeld-Handschuhen haftet dem gebürtigen Schweizer etwas Dandyhaftes an.

Er fängt an, von den Obsessionen des Adolf Steiger zu erzählen - mit so bestrickendem Charme, dass man sich dem nicht entziehen kann. Genauso präsentiert Litscher seine Mischung aus Ausstellung und Performance "¡Barbara - Rabarbara!" beim gerade angelaufenen Festival Theater der Welt in Mülheim und Essen.

Dieser Ernst Adolf Steiger sei in Wien aufgewachsen, so Litscher, wo er Mitglied der Sängerknaben war. Später zieht er mit der Familie ins Ruhrgebiet. Der Tod seines Vaters bei einem Grubenunglück treibt eine doppelte Obsession hervor. Steiger legt eine gigantische Sammlung an mit Dokumenten von Bergswerkskatastrophen sowie von Devotionalien der Heiligen Barbara, der Schutzpatronin der Bergleute - Litscher sagt, er wolle Beispiele zeigen.

Gleichzeitig entsteht ein reiches kompositorisches Oeuvre, so dass Litscher von Steiger als dem "Charles Ives des Ruhrgebiets" spricht - der war ein kompromisslos experimenteller US-Komponist (1874 - 1954).

"Mich interessiert, wie Erinnerung zustande kommt und wie aus Geschichten Geschichte wird", sagt Litscher beim Gespräch in Essener Café Central.

Wie oft und gut müsse man eine Story erzählen, damit sie am Ende geglaubt wird? Nicht oft, denn schon das Gespräch mit Litscher ist ein hinreißendes Querfeldein zwischen Verbürgtem und Erfundenem.

Sigmund Freuds Zahnarzt taucht darin auf, der Schriftsteller Paul Bowles, aber auch Litschers Verhaftung in New York wegen Terrorverdachts, der er sich durch Scheherazade-artiges Erzählen entzogen haben will.

Keine Frage, man hat es hier mit einem Nachfahren dieser arabischen Prinzessin zu tun. Mit dem Unterschied, dass Litschers Geschichten sich immer auf dem Drahtseil der Wahrscheinlichkeit bewegen. Er ist ein Spurensammler, der das Leben mit seinen zahllosen Möglichkeiten kurzschließt.

Neben seiner Ausstellungsperformance präsentiert das Festival Theater der Welt, das im Rahmen von Kulturhauptstadt Ruhr2010 stattfindet, ein umfangreiches Programm internationaler Gastspiele.

Kuratorin Frie Leysen hat vor allem Produktionen junger Künstler eingeladen, die spartenübergreifend arbeiten: Von den russischen Bilderwelten des Dmitry Krymov über einen Bühnen-Krimi-Comic aus Pretoria bis zum norwegischen Apparatetheater. Drei Wochen Welttheater, bevor das Ruhrgebiet und seine Theater am Ende des Kulturhauptstadtjahres auf Diät gesetzt werden.

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