Theater Mutter oder Hyäne des Schlachtfelds

Düsseldorf. · Sebastian Baumgarten inszeniert Mutter Courage mit starken Bildern in Düsseldorf.

Sie verliert zwar im 30-jährigen Krieg ihre Söhne Eilif und Schweizerkas und am Ende auch Tochter Kattrin. Doch Anna Fierling – genannt „Mutter Courage“ – zieht ihren Wagen weiter, immer weiter. Und gerät in Panik, „wenn der Frieden ausbricht“. Denn die Augen der selbst bei Feldherren berüchtigten Marketenderin leuchten, wenn sie an die Geldberge denkt, die sie im Krieg mit allerlei Geschäften verdienen kann. Geschäfte, Pinke Pinke. Nur darum geht es im Krieg, meinte der Dramatiker Bertolt Brecht. Dessen antikapitalistischer und gesellschaftskritischer Klassiker „Mutter Courage und ihre Kinder“ – den Brecht im schwedischen Exil 1939 schrieb, also zu Beginn des Zweiten Weltkriegs – ist im Düsseldorfer Schauspielhaus zu erleben. In einem pausenlosen 140-Minuten-Marathon auf ewig kreisender Bühne. Mit exzellenten Darstellern zwar, die aber von Regisseur Sebastian Baumgarten zu einem künstlich aufgesetzten Comic-Tonfall gezwungen werden. Und: sie treten auf der Stelle, den Rest besorgt die Drehbühne.

Ruckpaul verleihen einigen Szenen einen seltenen Zauber

Erst im letzten Drittel legen Rose Enskat (Mutter Courage) oder Wolfgang Michalek (Feldkoch) das nervige Drauflosschnauzen und Comedy-Plappern ab und mutieren zu Figuren mit Tiefe und Seele. Corona-bedingt durch eine Plexiglasscheibe getrennt, kommen sie sich näher. Der als Brecht-Spezialist bekannte Baumgarten traut wohl heute – 70 Jahre nach der Uraufführung (1941 in Zürich) – den von Brecht dargestellten Verflechtungen von Menschen und Kriegsschicksalen nur wenig Kraft zu. Opern- und Theatermacher Baumgarten und sein Ausstatter Alexander Wolf gehen auf Distanz, bieten dabei mit grellen, manchmal schrillen Bildern einen hyperventilierten Mix aus Revue, Comic und Video-Projektionen. Im Finale treiben sie es auf die Spitze: alle Überlebenden und Wiederauferstandenen feiern eine große Party. In hautengen, fleischfarbenen Trikots wippen und wiegen sie sich auf Glitzer-Rollschuhen in Trance.

Anfangs zünden die Schauspieler ein Meer von Kerzen an, während ausgerechnet die stumme Kattrin (Lea Ruckpaul) die Beteiligten mit Namen und Rollen vorstellt. „Das ist Rose Enskat, sie spielt die Mutter Courage“ etc. Im Abstand von drei Metern erzählen sie zunächst von Kriegswirren und Leiden der Menschen. Auf einer Riesen-Mattscheibe im Hintergrund sind Jahreszahlen der Kriegsabschnitte (1618-1648) und zerbombte Ruinen aus modernen Wüstenkriegen zu erkennen. Baumgarten sucht damit – das wirkt zum Teil angestrengt – die Nähe zum Brecht-Original: so tragen die Figuren keine modernen Kostüme, sondern modisch aufgepeppte Kleider, Röcke und Mäntel mit Zitaten aus dem 17. Jahrhundert. Dazu passen wiederum barocke Kirchenbilder und die beiden gestorbenen Söhne Eilif und Schweizerkas, die wie Engel oder Barock-Putten am Bühnen-Himmel baumeln und herunterschauen auf die Mutter.

Brechts antikapitalistische Botschaft geht ein wenig baden

Die Händlerin Anna Fierling (Courage) zieht indes nicht mit einem Planwagen quer durch Europa, sondern mit einer Mischung aus Zauberkiste mit Leuchtschriften und Mini-Markt mit Überraschungs-Angeboten. Zu Beginn will sie als Mutter ihre Kinder noch um jeden Preis retten, verachtet den Krieg. Doch zunehmend siegt in ihr die clevere, anpassungsfähige Geschäftsfrau, die dem Krieg hinterherzieht. Sie singt das „Lied vom großen Kapitalismus“ und spricht über ihre Überlebens-Philosophie „Ohne Ordnung, kein Krieg“, „Nur im Krieg mache ich gute Geschäfte“ etc. Egal ist ihr, wenn der notgeile Feldprediger, der permanent ein schwarzes Kreuz wie ein Schutzschild vor sich her trägt (Rainer Philippi), sie als „Hyäne des Schlachtfelds“ beschimpft.

Die Original-Musik und Songs von Paul Dessau spielen hier nur eine Nebenrolle. Schade. Sie wird meist elektronisch verfremdet und läuft im Hintergrund. Und die Darsteller? Alle – auch die Söhne Eilif (Henning Flüsoh) und Schweizerkas (Jonas Friedrich Leonhardi) als schwebende Engel – sind stets präsent und geben vollen Einsatz. Neben Rose Enskat als Titelheldin sticht aus dem Ensemble besonders Lea Ruckpaul hervor. Als stumme Kattrin beobachtet sie sämtliche Stationen: Ruckpauls Mimik und Körperlichkeit wirken wie Kommentare und verleihen einigen Szenen einen seltenen Zauber. Besonders dann, wenn sie der Prostituierten Yvette (Cathleen Baumann) die roten Lackpumps entwendet, sie beschnuppert und beinah wie eine Reliquie verehrt.

Fazit: Ein in Strecken unterhaltsamer Abend mit starken Bildern und sehr starken Schauspielern. Brechts ernste, antikapitalistische Botschaft geht aber in der Vielzahl der schönen Regie-Einfälle baden.

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