Schlingensief tourt auch todkrank

Literatur: Regisseur leidet an Krebs. Er wirbt für Festspielhaus in Afrika.

Frankfurt. Christoph Schlingensief (48) rührt an, wie er so auf der großen Bühne des Frankfurter Schauspiels steht und den nicht enden wollenden Applaus genießt. Der schwer Lungenkrebs kranke Künstler ist nach seinem jüngsten Rückfall dünn geworden, das Hemd wirkt eine Nummer zu groß, tief liegen die Augen.

Der Beginn einer Benefiz-Lesereise für sein Afrika-Projekt am Montagabend könnte der Auftakt seiner Abschiedstournee gewesen sein. Dieses mulmige Gefühl bleibt bei den rund 800 Zuschauern im ausverkauften Saal. Standing Ovations für das einstige Enfant terrible nach einer etwa zweieinhalbstündigen Show, in der ein teils kurzatmiger, aber sich auch heiter in Rage redender Schlingensief sein künstlerisches Lebenswerk präsentiert.

"Es macht einen super fertig und traurig", sagt Schlingensief über die Metastasen in seinem noch verbliebenen Lungenflügel. "Ich habe noch ganz viele Dinge vor, ich habe noch viele Ideen", gibt sich der in Berlin lebende Theater-, Film- und Opernregisseur aber kämpferisch.

Er plaudert fast die ganze Zeit, das Vorlesen aus seinem Kranken-Tagebuch "So schön wie hier kann’s im Himmel gar nicht sein!" nimmt nur einen Bruchteil der Show ein. Es geht in seinen Erzählungen um sein Ringen mit dem Tod, seine Kunst, seinen Traum in Afrika ein Festspielhaus zu bauen. Und ein bisschen auch um Politik. Da kommt der Provokateur wieder durch.

Er schießt gegen Guido Westerwelle (FDP) ebenso wie gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): "Das ist eine Propaganda-Frau der FDJ." Und auch die "Alten" bei den Grünen - Claudia Roth, Renate Künast und Jürgen Trittin - müssten weg. Im nächsten Moment wieder ganz zahm: "Wir sind ja nicht mehr politisch, ich halte mich da raus."

Ansonsten präsentiert sich Schlingensief nachdenklich, fast weise. "Ich habe mich auch oft getäuscht in meinen Arbeiten, aber im Kern habe ich immer eines gewollt: Toleranz statt Intoleranz und Ignoranz", sagt Schlingensief, als würde er über sein Vermächtnis sprechen. Er zeigt sich zum Beisp³iel als Aktionist seiner Partei "Chance 2000", wie er 1998 mit allen Arbeitslosen in den Wolfgangsee steigen will, um Helmut Kohls Ferienhaus zu fluten. Er bringt auch eine Einspielung des 2000 in Wien aufgestellten "Ausländer Raus!"-Containers und erzählt amüsante Anekdoten über seine missglückte Zusammenarbeit mit dem Wagner-Clan, als er 2004 in Bayreuth den "Parsifal" inszenierte. Dabei äfft er abwechselnd Wolfgang, Gudrun und Katharina nach.

Zum Schluss noch Schlingensiefs Herzensangelegenheit: sein Afrika-Projekt. In Burkina Faso will er ein Festspieldorf gründen mit einer Schule mit Musik- und Filmklassen, einer Krankenstation und einem Festspielhaus. Dafür sucht er reichlich Unterstützer. Die Karteneinnahmen in Frankfurt fließen komplett in das Projekt. Nach dem Auftritt eine riesige spendewillige Menschentraube um den gerührten Schlingensief.

Was bleibt, ist das mulmige Gefühl., zumal er weitertourt nach Hamburg, Zürich, Berlin.

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