„Right of Passage“ - Der Zuschauer wird zum Akteur

Düsseldorf (dpa) - Tritt der Zuschauer durch die Tür am Bühneneingang, gibt es kein Zurück mehr. In dieser Sekunde beginnt das Theaterstück, indem man selbst eine Rolle übernimmt.

„Right of Passage“ - Der Zuschauer wird zum Akteur
Foto: dpa

Eine Frau in khakifarbenen Uniform - wohl eine Grenzbeamtin - befiehlt: „Setzen Sie sich!“. Eine Webcam nimmt ein Porträtfoto auf. Es wird auf einen Pass geklebt. Jetzt braucht die Frau noch einen Fingerabdruck. Fertig ist das Formular. Ab jetzt trägt der Zuschauer keinen Namen mehr. Er ist nur noch eine Nummer: 8-57235294-7. Staatsangehörigkeit: Ros-U. Konfession: S-inhuasu. Geburtstag: 21.08.1978. Geburtsort: Kirg Stadt.

Das interaktive Theaterstück „Right of Passage“ der Berliner Künstlergruppe „machina ex“ ist von Anfang an auf Verwirrung ausgelegt. Am Dienstagabend feierte nun das Stück über die Migrations- und Flüchtlingsdebatte Uraufführung im Düsseldorfer Forum Freies Theater (FFT).

In den kommenden drei Stunden wird es nicht einfacher. Es gilt, einige Rätsel zu lösen. Das interaktive Theaterstück „Right of Passage“ ist Teil des Projekts „Game on Stage“. Vor zwei Jahren haben sich „machina ex“ und das FFT zusammen getan, um gemeinsam eine neue Form von Live-Performance zu schaffen: eine Verbindung zwischen Theater und Computerspiel. Die freie Performance-Gruppe war bereits mit dem Mitmach-Projekt „15 000 Gray“ erfolgreich.

Der Zuschauer wird in „Right of Passage“ zum Flüchtling, der aus einem Transitcamp fliehen und es über die Grenze in die fiktive „Lörische Republik“ schaffen soll. Dafür muss er sich in Spielsituationen Formulare erarbeiten. Um den Visums- oder Asylantrag zu bekommen, muss er einen Berufsnachweis, Nachweis über Verfolgung, Gesundheitszertifikat, Geburtsurkunde und vieles mehr vorlegen. 30 Zuschauer steigen zeitversetzt in das Spiel ein und kämpfen sich durch den Bürokratiewust. Sie sind ständig dem Druck ausgesetzt, Papiere und Arbeit zu erhalten. Als sich die politische Lage zuspitzt, steht das Camp auf dem Spiel.

Auf der düsteren Bühne gibt es mehrere Spielstätten mit echten Schauspielern: Marina Pitum (Anna Fries) ist Besitzerin eines Geschäfts, das aus Holzleisten zusammengeschustert ist. Mit der Währung Pradt kann man bei ihr Stifte, Telefonkarten und Internetzugang erwerben. „Kann ich ihnen was verkaufen“, spricht sie jeden an. Beim Arzt Bud Perrhy (Jan Jaroszek) wird der Gesundheitszustand kontrolliert. „Ganz schön staubig hier. Ich brauche was zum desinfizieren“, sagt der Mann mit dem weißen Kittel. Wie man an die wichtigen Stempel und Nachweise der Personen kommt, ist nicht immer gleich zu begreifen. Es bleibt spannend.

Wertvolle Zeit auf der Suche nach der Lösung verstreicht. Also versucht sich das aktive Publikum untereinander zu helfen. „Kannst du mir deinen Stift leihen?“, „Habt ihr schon die Botschaft gesehen?“, fragt ein „Zuschauer“, der erst später ins Spiel eingestiegen ist. Bisweilen wird der dreistündige interaktive Abend dadurch langatmig und frustrierend.

Die Leistung der acht professionellen Schauspieler ist doppelt zu würdigen. Stundenlang müssen sie in ihrer Rolle verharren und dürfen sich nicht von neugierigen Mitspielern ablenken lassen, die ständig um Informationen betteln: „Kann ich hier Telefonkarten kaufen?“, „Weißt du, wo ich meine Geburtsurkunde finde?“, „Wenn ich dich bezahle, verrätst du mir dann etwas?“. Doch die Schauspieler halten dicht.

Nach drei Stunden hat es lediglich ein Zuschauer am Grenzsoldaten vorbeigeschafft. Jubelnd streckt er seine Arme in die Höhe. Über die verdunkelten Zuschauersitze läuft er hinaus in die Freiheit der realen Welt. Die Plätze für das Publikum im Saal sind an diesem Dienstagabend leer geblieben. Der Zuschauer wird nicht nur in die bedrückende Situation eines Flüchtlings hineinversetzt, sondern lernt auch viel über sich selbst.

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