Revue-Reigen der Ruchlosen

Neuer Tanz: Stefanie Thierschs brillante Choreografien zur Sinnsuche.

Düsseldorf. Kakteen, wohin das Auge blickt. In Stephanie Thierschs "Cactus Bar" sind sie das einzig Greifbare in einer Sphäre der Entrückten. Aus rotem Leder und mit giftgrünen Stacheln wirken diese formschönen Objekte auf der Bühne im Tanzhaus NRW völlig harmlos. Und doch entwickelt sich dieser mit phallischer Symbolik möblierte Raum vom Erwachsenen-Spielplatz zur Todesfalle.

"Wir befinden uns in der Cactus-Bar in der Wüste" verortet Jens Münchow, der eine Art Conférencier gibt, die surreale Bühne (Bettina Buck). Dabei darf man Wüste durchaus doppeldeutig nehmen. Die zwei traumwandelnden Tänzerinnen und zwei Tänzer leiden an Seelenödnis. Nichts als erotisierte Körper, suchen sie den ultimativen Kick. Selbstdarstellung, Fremdwahrnehmung, Sinn-Suche in einer medialen Welt sind die Themen der Kölner Choreografin und Filmemacherin Stephanie Thiersch, wie sie sie zuletzt in "Beautiful me" eindrucksvoll inszenierte.

Bei der Uraufführung von "Cactus Bar" geht die Künstlerin weiter, analysiert, blickt in Abgründe. Erstmals rückt sie Wort und Tanz in den Vordergrund, verzichtet auf mediale Technik, entdeckt die Komik. Die Antwort auf ihre Ausgangsfrage, was denn bleibe nach dem Verlust sexueller Tabus, wenn das Geheimnis der Langeweile gewichen ist, verkörpert ihr Ensemble "Mouvoir" auf unterhaltsamste, selbstironische Weise.

Wenn Thiersch Paare auf dem Hochglanz-Tanzteppich aufeinanderzurutschen lässt, die Beine gespreizt, wenn eine Revue-Riege der Ruchlosen die Becken ins Leere schmachten lässt, gibt sie die Sexsucht der Lächerlichkeit preis. Die Choreografin hütet sich vor Klamauk. Sie beherrscht das Timing, inzeniert filmisch, mit abrupten "Schnitten", Totalen, Zeitlupe, Stills. Die gespielte Intimität entlarvt sich selbst, wenn die Gespielen einander wie zufällig finden, nur um sich dem Nächsten zuzuwenden.

Exzellent die Szene, in der zwei Paare in Streit geraten und sich wie Comicfiguren gebärden. Sie bewegen nur die Münder, während Jens Münchow ihre verzerrten Stimmen aus der DJ-Kabine im Kunstkaktus spricht.

Überhaupt kommt dem Schauspieler eine dramaturgisch zentrale Rolle zu. Er gibt Orientierung in einem richtungslosen Dahinströmen. Stephanie Thiersch begnügt sich nicht mit karikierender Abbildung. Sie will den Zuschauer rütteln. So greift Joseph Suchy zur Gitarre, zupft eine schöne Melodie und erzählt in abstoßenden Details von der Vergewaltigung einer Frau im Vollrausch (aus Helmut Kraussers Roman "UC"). Entsetzten.

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