Premiere in Bayreuth: Parsifal als deutsche Zeitreise

In Bayreuth eröffnet die Inszenierung von Stefan Herheim die Wagner-Festspiele.

Bayreuth. "Erlösung dem Erlöser", so tönt es am Ende von Richard Wagners letzter Oper "Parsifal". Ihm ging es um Befreiung einer kleinen Gruppe von Gralsrittern aus der Anfechtung durch Sexualität und Verführung.

Zur Eröffnung der diesjährigen Bayreuther Festspiele geht es dem norwegischen Regisseur Stefan Herheim bei der Neuinszenierung des Werkes um die Erlösung der ganzen deutschen Nation von ihrer leidvollen Geschichte. Und das in Anwesenheit der Bundeskanzlerin. Ein mutiges Unterfangen.

Im Brennpunkt des historischen Bilderbogens liegt die Villa Wahnfried. Hier bringt eine gutsituierte Dame einen Jungen zur Welt, der sich als Problemkind entpuppt. Er lässt sich schwer erziehen, rennt in die Welt hinaus und erlebt dort wilde Abenteuer, ein Parsifal eben. Das Bett wird uns den ganzen Abend begleiten. Immer wieder werden dort kleine Parsifals geboren. Nur finden die jeweils eine andere Welt vor.

Im ersten Akt ist es die Kaiserzeit der Reichsgründung 1871. Der unschuldige Grals-Schwan mutiert zu einem bedrohlich schwarzen Adler. Das Pathos des tumben Knaben wird zum unheilvollen Jargon eines Kaisers, der seine Truppen damit in einen gnadenlosen Vernichtungskrieg schickt. Beseelt von der Nationalstaatlichkeit tragen hier alle Bürger dunkle Flügel.

In den dekadenten Zwanzigern des Blumenmädchen-Aktes verwandeln sich die Flügel zu Requisiten von flotten Revuegirls, angetrieben von dem Bordellbesitzer Klingsor. Kundry macht sich in wechselnden Gestalten an das Unschuldslamm. Sie ist die Sünde pur, das Laster und die Unmoral in einer Person. Als er ihr nicht erliegt, lässt sie Nazihorden aufmarschieren, um ihn unter Druck zu setzen. Doch auch deren räuberischer Adler zerschellt ergebnislos in einem mörderischen Krieg.

Wiederauferstanden aus Schutt und Asche feiert nun das Neubayreuth von Wieland und Wolfgang Wagner 1951 das entschlackte Meisterwerk. Der naive Held dringt sogar bis in den Bundestag vor und erlöst die Politiker von ihren Altlasten und wendet die Nationalstaatlichkeit mit Hokuspokusfidibus in eine globale Friedenspolitik. Parsifal entschwebt durch die berühmte Glaskuppel und kehrt als leuchtende Taube zurück...

Am faszinierendsten sind dabei die Bühnenbilder von Heike Scheele. Sie zieht alle Register moderner Bühnentechnik und zaubert jede auch noch so entfernte Assoziation mit leichter Hand herbei. Das hat allerhöchste Qualität. Die Regie Herheims bewegt sich auf einem schmalen Grat zwischen klug arrangiertem Historiendrama, Fantasy-Kitsch und staatstragender Politutopie.

Auf der Strecke bleibt die Spiritualität und Schopenhauersche Weltentsagungs-Idee. Diesen Verlust versucht Maestro Daniele Gatti durch ein Dirigat im Zeitlupentempo wieder gut zu machen. Er ist ein wahrer Klang- und Farbenfetischist, dem man über lange Strecken gebannt zuhört. Überwältigend das erstklassige Sängerteam.

Den Erzähler Gurnemanz gibt ein bescheiden wirkender Kwangchul Youn, in jeder Phase präsent, liebevoll artikulierend. Aufbrausend und zügellos dagegen der leidende König Amfortas von Detlef Roth. Thomas Jesatkos markanter Klingsor gerät in dieser Deutung ins Off. Nicht er ist die zentrale Gefahr für den jeweiligen Staat, sondern Parsifal selbst. Christopher Ventris entlockt der Titelfigur immer neue Gesichter, wie das auch Mihoko Fujimura als Kundry tut. Uneingeschränkter Jubel für eine bravouröse Gesamtleistung.

Inszenierung: 5 von 5 Punkten

Bühne: 5 von 5 Punkten

Sänger: 5 von 5 Punkten

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