Jeanne d'Arc und Malalai Nationalheldinnen im Fokus des Kunstfestes Weimar

Weimar (dpa) - Auf der Bühne stehen Schauspieler aus Deutschland, Frankreich, Afghanistan und Israel. Es geht um Traum und Wirklichkeit, Geschichte und Gegenwart, es gibt ständige Sprach- und Perspektivwechsel.

Jeanne d'Arc und Malalai: Nationalheldinnen im Fokus des Kunstfestes Weimar
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Die Uraufführung von „Malalai - die afghanische Jungfrau von Orléans“ nach Friedrich Schiller verlangt von den Akteuren und dem Premierenpublikum über zweieinhalb Stunden lang höchste Konzentration.

Das Deutsche Nationaltheater und das Kunstfest Weimar haben am Freitagabend ein brisantes Thema angepackt: die nationalistische und religiöse Instrumentalisierung von Frauen als Freiheitsikonen, Nationalheldinnen und Gotteskriegerinnen - in Vergangenheit und Gegenwart.

Die Zuschauer im ausverkauften E-Werk sahen ein hochspannendes Theaterprojekt von Robert Schuster und Julie Pauker. Vom Publikum gab es langen und herzlichen Beifall.

Ferner Kanonendonner zu Beginn auf der lediglich mit verschiebbaren großen Stahlplatten ausgestatteten Bühne: Mitglieder der afghanischen Theatergruppe Azdar erinnern sich an jene Vorstellung, bei der sie 2014 Ziel eines Anschlags der Taliban wurden. Seither können sie nicht mehr in ihrer Heimat auftreten. „Der Krieg wird auch zu Euch kommen. Schiller ist aktuell“, sagen sie auf persisch, zu lesen in deutschen Übertiteln.

Friedrich Schiller hat der Legende der Jungfrau von Orléans, die in einer von Männern dominierten Welt ihren Glauben und ihr Leben für die Freiheit ihres Volkes einsetzt, sein gleichnamiges Drama gewidmet. In Frankreich ist sie ein Mythos. Gleich drei Schauspielerinnen aus Frankreich und Israel verkörpern mit allen Sinnen und Fasern ihrer Körper Johanna; in ihrer Zerbrechlichkeit, ihren Zweifeln, ihrem Mut, ihrem unbeugsamen Willen und der Gewissheit ihres Todes. „Ich bin Jeanne d'Arc und ich bin das Volk“, sagt die eine. „Ich bin der Traum“, die Zweite. „Ich bin die Nation“ die Dritte.

Auch in Afghanistan kennt jeder eine ähnliche Geschichte. Malalai von Maiwand, auch die afghanische Jungfrau von Orléans genannt, war Sanitäterin im Unabhängigkeitskrieg 1880 gegen die britische Kolonialmacht. Als die afghanischen Krieger die Schlacht schon fast verloren hatten, löste sie ihren Schleier und rannte auf den Feind zu - wie einst der Legende nach Johanna mit einer Fahne. Die flüchtenden Soldaten kehrten um und besiegten die Unterdrücker.

Immer wieder verweben sich im Stück Fiktion und Realität. Die Schauspieler spielen ihre Rollen und sind zugleich sie selbst. Mit ihren christlichen, muslimischen, jüdischen oder atheistischen Hintergründen hinterfragen sie jüngere Geschichte und Politik: Flüchtlinge in Deutschland etwa und die scheinheilige Verweigerung von Hilfe.

Der Holocaust der Nazis: In Weimar, der Stadt von Goethe und Schiller und des früheren NS-Konzentrationslagers Buchenwald, ein bis heute hochbrisantes Thema. „75 Jahre nach dem Holocaust kommen wir jedes Jahr wieder in das Hotel "Elephant"“, sagt die israelische Jungfrau von Orleans. Es war das Lieblingshotel von Adolf Hitler.

Die Frage sei nicht der Kampf, sondern wofür man kämpfe. Und so fallen in der Koproduktion mit dem Schauspielhaus Bochum und dem Theater Chur (Schweiz) auch so provokative Sätze wie: „Europa verendet am Hindukusch!“ Am Ende wird der Kopf der israelischen Jeanne d'Arc gegen die Stahlwand geschleudert. „Du hast den Koran verbrannt.“

Die Stahlplatten öffnen sich und deutsche und afghanische Schauspieler lesen aus dem Buch „Ich erhebe meine Stimme“ der afghanischen Politikerin Malalai Joya, benannt nach der afghanischen Sanitäterin. Es wirkt wie ein politischer Anhang an eine zuvor fantasievolle und bei aller Schwere des Themas oft lustige Aufführung. So als ob das Inszenierungsteam von dem anspruchsvollen Spiel zuvor nicht ganz überzeugt war. Schade.

Das transnationale Theaterprojekt wird von der Kulturstiftung des Bundes, dem Goethe-Institut und dem Institut français gefördert. Von Weimar aus geht es auf Gastspielreise nach Ludwigshafen, Chur, Bochum und Berlin.

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