Kultur für alle bei den Ruhrfestspielen

Recklinghausen (dpa) - Die Bühnen-Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts und aktuelles zeitkritisches Theater - die Ruhrfestspiele in Recklinghausen haben dieses Jahr einen gewagten Bogen gespannt.

Nicht immer erfolgreiche Experimente mit zum Teil 100 Jahre alten Werken des Expressionismus wechselten sich mit zeitgenössischen Uraufführungen und bewährten Klassikern ab.

Auf die Zielgerade ging das eineinhalb Monate dauernde Festival am Mittwochabend mit der Uraufführung des Stücks „Brandung“ der 1982 im sauerländischen Arnsberg geborenen Autorin Maria Milisavljevic. Für ihr Stück hatte sie den Kleist-Förderpreis zugesprochen bekommen. Die Uraufführung übernahm das Deutsche Theater Berlin.

Das Stück der Dramatikerin kreist um Kroatien und Deutschland, es wirft Fragen nach Heimat und Identität im modernen Europa auf. Doch mit seinen Lyrismen und geheimnisvollen Andeutungen wirkt es überfrachtet. Regisseur Christopher Rüping verdoppelte die Rätsel des Textes szenisch, anstatt sie zu lösen. Dennoch jubelte das Uraufführungspublikum begeistert.

Trotz des ein oder anderen Einwands war das in die Ruhrfestspiele integrierte Festival der Uraufführungen eines der reizvollsten Elemente der 67. Auflage des traditionsreichen Theaterfestivals. Mit der Halle König Ludwig 1/2 wurde ein passender neuer Spielort gefunden. Das Industriedenkmal erinnert an die Tradition der Ruhrfestspiele, die auf eine gemeinsame Initiative von Bergleuten und Künstlern nach dem Krieg zurückgehen. Noch heute ist der Deutsche Gewerkschaftsbund einer der Träger des Festivals.

Die Uraufführungen, früher ein Sorgenkind des Festivals, seien jetzt zu 80 Prozent ausgelastet, berichtet Intendant Frank Hoffmann zufrieden. Daneben stand auch Bewährtes wie Ibsens „Hedda Gabler“ auf dem Programm. Ein kühnes Experiment, das leider schiefging, war der Versuch, Georg Kaisers expressionistisches Meisterwerk „Gas“ zu reanimieren.

Hoffmann rückt die Schauspielkunst stärker ins Zentrum als Konzepte - eine mutige Entscheidung gegen den Mainstream des Regietheaters. Er trifft mit seiner Vorliebe für Schauspieler den Geschmack seines Publikums: Nina Hoss und Hannelore Hoger, Corinna Harfouch und Birgit Minichmayr, Sophie Rois und Cornelia Froboess standen in Recklinghausen auf der Bühne.

In den Vorjahren strahlten die Ruhrfestspiele mit international berühmten Filmstars wie Kevin Spacey und Cate Blanchett weit aus. Ein solcher Paukenschlag fehlte in diesem Jahr - obwohl Nina Hoss als Hedda Gabler in der Inszenierung von Stefan Pucher künstlerisch kein Gramm weniger auf die Kunstwaage brachte.

Die Zahlen imponieren: Die Ruhrfestspiele mit einem Etat von rund 6,5 Millionen Euro boten 100 Produktionen in sechs Wochen und 318 Aufführungen in 16 Spielstätten. 2012 wurden knapp 80 000 Karten verkauft. Hoffmann möchte diese Zielmarke auch 2013 erreichen. Recklinghausen zeigt mit seiner Offenheit für viele Autoren und der Ablehnung alles Elitären, dass dem Festival im tiefen Westen ein immer noch überzeugendes Konzept zugrunde liegt: Kultur für alle.

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