Intendanten sehen Kunstfreiheit in Ungarn in Gefahr

Nürnberg (dpa) - Die deutschen Theaterintendanten sehen die Kunstfreiheit in Ungarn in Gefahr und verlangen daher ein rasches Einschreiten der Europäischen Union (EU).

„Wir werden uns direkt an die EU wenden und unsere Sorge dort einbringen“, kündigte der Vorsitzende der Intendantengruppe im Deutschen Bühnenverein und Intendant des Deutschen Theaters Berlin, Ulrich Khuon, am Dienstag im Anschluss an einem zweitägigen Intendantentreffen in Nürnberg an. An der Tagung hatten knapp 90 deutsche Theaterleiter teilgenommen.

Nach Angaben des Geschäftsführenden Direktors des Deutschen Bühnenvereins, Rolf Bolwin, wollen die Intendanten unter anderem über die europäische Opernkonferenz Einfluss auf die EU-Kommission nehmen. „Es geht nicht, dass die EU die Kunstfreiheit wie selbstverständlich vor sich herträgt - und dann wird sie in einem Land der Europäischen Union mit Füßen getreten“, sagte Bolwin. Auf eine formale Resolution gegen die Kulturpolitik der rechtskonservativen ungarischen Regierung verzichteten die Intendanten allerdings.

Die Intendanten hatten den erst vor kurzem abgesetzten liberalen künstlerischen Direktor der Ungarischen Staatsoper Budapest, Balázs Kovalik, zu Gast. Kovalik berichtete, die Regierung unter Premier Viktor Orban gebe sich zwar nach außen hin tolerant und liberal; tatsächlich betreibe sie jedoch eine systematische Ausgrenzung liberaler Kräfte im ungarischen Kultur- und Medienbetrieb. Immer mehr Schlüsselfunktionen würden nach politischen und nicht mehr nach fachlichen Gesichtspunkten besetzt, kritisierte Kovalik.

Breiten Raum nahm nach Khuons Angaben bei der Intendantentagung der Umgang mit Stücken von Theaterklassikern wie Goethe, Schiller und Lessing ein. Er räumte ein, dass in der Frage ein tiefer Riss durch die Intendantenschaft gehe. Dennoch gebe es eine Grundübereinstimmung, dass bei aller Experimentierfreude die Klassiker zum Repertoire einer Bühne gehörten. „Klassiker zu inszenieren - das bedeutet aber keineswegs die Abkehr von Gegenwart-Theater. In meinem Haus setze ich in diesem Punkt auf eine Balance“, sagte Khuon.

Zugleich forderten die Chefs der deutschen Bühnen ein entschiedeneres Vorgehen der Politik gegen Neonazis in Deutschland. Die jüngsten Neonazi-Morde forderten aber auch die deutschen Bühnen heraus. „Auch Theater müssen sich dazu verhalten“, sagte Khuon. „Beispiele aus verschiedenen Regionen zeigen, dass man diese Gefahr bisher unterschätzt hat.“ Theater müssten daher den Rechtsextremismus in Deutschland stärker thematisieren. „Man muss auch Wert darauf legen, dass ein Verbot der NPD mit großer Sorgfalt behandelt wird“, forderte Khuon an die Adresse der Politik.

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