„Horror“ auf Kampnagel: Ahlboms Genre-Hommage gefeiert

Hamburg (dpa) - Eine Leiche, die sich in Luft auflöst, ein Hochzeitspaar, das durch den stockdunklen Wald irrt, eine abgehackte Hand, die einsam über den Bühnenboden krabbelt: Ingredienzien einer Theaterproduktion, die mittlerweile international kultartig gefeiert wird.

„Horror“ auf Kampnagel: Ahlboms Genre-Hommage gefeiert
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Der Gruselfilm-Hommage „Horror“ nach dem Konzept und unter Regie des Schweden Jakop Ahlbom spendeten am Dienstagabend in der ausverkauften Hamburger Kampnagelfabrik fast 1000 Besucher Beifall im Stehen. Es war der Auftakt einer Reihe von Deutschland-Gastspielen. Zuvor hatten Fans das in Holland Ende 2013 uraufgeführte fast wortlose, teils choreographisch angelegte Stück trotz oder wegen seines eher dünnen Gehalts auch in London und Paris bejubelt.

„Horror“ auf Kampnagel: Ahlboms Genre-Hommage gefeiert
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Kunstnebel-Schwaden im Zuschauerraum, die Bühne im mysteriösen Halbdunkel und nostalgisch säuselnde Unterhaltungsmusik bilden den Rahmen für Ahlboms „Horror“. Der beschert bei hohem Wiedererkennungswert für Insider viele Anspielungen an Genre-Klassiker - von „Der Exorzist“ (1973) über „Nightmare On Elmstreet“ (1984) bis zur „The Addams Family“ und Japan-Horror-Movies.

Die Geschichte orientiert sich an Stereotypen des Genres und der Tiefenpsychologie. Unter Donner und Blitz kehrt eine junge Frau (Silke Hundertmark) in ihr verlassen wirkendes Elternhaus zurück, dessen Möbel Bettlaken bedecken - die Wände zieren ein Hirschgeweih und nervös tanzende Familienfotos. Aus einem Schrank voll alter Kleider ertönt verzweifeltes Kinderweinen.

Plötzlich erscheinen wie geisterhaft ein Wesen, das der jungen Frau ähnelt (Gwen Langenberg) - und das viktorianisch düster, starr und übermächtig auftretende Elternpaar (Luc van Esch und Judith Hazeleger). Nachdem beide Mädchen sich im Wald Äpfel als Brüste unter die Bluse gesteckt und rote Höschen angezogen haben, werden sie von Vater und Mutter in Gewahrsam genommen. In märchenhaft-altmodischer Küche in verblichenen Farben findet sodann ein Kampf statt, bei dem zwei junge Männer (Yannick Greweldinger und Thomas van Ouwerkerk) ebenso grausam groteske Rollen spielen wie die Frischvermählten (Reinier Schimmel und Sofieke de Kater).

Das Geschehen umflort Ahlbom optisch mit morbider Poesie (Design: Douwe Hibma). Er spart auch nicht an akustischen Zutaten wie Knackgeräuschen und Anklängen an Kirchenmusik. Die Begeisterung der Zuschauer erregen jedoch vor allem Spezialeffekte, wie man sie sonst von der Leinwand kennt. Ekel wird dabei besonders genüsslich zelebriert: So zerrt ein Herr einem anderen - wohl der Vater dem Bräutigam - den Dünndarm gleich meterweise aus dem Schlund. Auch Blut fließt hier gern im Übermaß aus diversen Körperstellen.

Am Ende der überaus offensichtlichen Selbstbefreiungsgeschichte aus familiären Zwängen stehen zwei identische Mädchen, die sich mit den einzigen Worten des 90-minütigen Abends - „We’ll make people happy“ (Wir werden Menschen glücklich machen) - von Haus und Publikum verabschieden. Der sonst zum Anschluss einer solchen inneren Entwicklung gern auftauchende, psychologisch erklärbare Märchenprinz scheint hier nicht mehr angesagt.

Wie den Horrorfilm selbst, so nimmt Ahlbom auch seine persiflierende Geschichte zwar ernst, aber nicht zu ernst. „Seit meiner Kindheit sehe ich diese Filme - und die meisten sind schlecht“, sagte der in den Niederlanden lebende Künstler der Deutschen Presse-Agentur nach der Premiere in Hamburg, „ich schaue sie aber trotzdem, denn sie erzählen uns etwas über unsere Ängste.“

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