Hilferufe aus der „Black Box“ der Beziehung

Amélie Niermeyer macht aus Amos Oz’ Briefroman einen fesselnden Theaterabend.

Düsseldorf. Es könnte so schön sein. Gemeinsam arbeiten sie alle an der Renovierung des verfallenen Familiensitzes: Ilana, ihr Sohn Boas, ihr zweiter Mann Michel und sogar das gemeinsame Töchterchen Yifat tragen roten Estrich auf den Betonboden auf. Die Stimmung ist gelöst, es wird gelacht und getanzt - bis die Musik abbricht, das warme Licht verschwindet.

Ein Moment der Utopie. Die Realität in "Black Box", Roman des Heine-Preisträgers Amos Oz, sieht düsterer aus: Ilana hat mit ihrem Ex-Mann Alexander A. Gideon wieder Kontakt aufgenommen, weil Sohn Boas Sorgen macht. In ihren Briefen versuchen die beiden, den Flugschreiber (die Black Box) ihrer abgestürzten Ehe zu entziffern.

Bei der Armee lernten sie sich kennen, die muntere Ilana und der steif-autoritäre Kommandant. Die Ehe war zunehmend von Gewalt geprägt, und bei der Scheidung weigerte sich Gideon sogar, die Vaterschaft anzuerkennen. Mittlerweile lebt er in den USA, forscht über das Wesen des religiösen Fanatismus und gibt seiner Studie den vielsagenden Titel "Die verzweifelte Gewalt".

Als Alexander beginnt, seinen Sohn finanziell zu unterstützen, wirkt sich dies unheilvoll auf Ilanas neue Ehe mit Michel aus. Der fromme Jude, der aus Algerien nach Israel eingewandert ist, träumt davon, den Arabern das Land abzukaufen.

Er ist in der differenzierten Darstellung von Rainer Galke lieb und fürsorglich, hat aber für ambivalente Gefühle kein Organ, und manchmal bricht die Aggression des Fanatikers aus ihm heraus. Zwischen den Parteien versucht der zynische Anwalt Sackheim (Miguel Abrantes Ostrowski) seine eigenen Vorteile zu ziehen.

In seinem Roman von 1987 lässt Amos Oz die Menschen per Brief und Telegramm kommunizieren. Amélie Niermeyer gelingt es in ihrer eigenen Fassung der Dramatisierung von Hanan Snir, diese schriftlichen Botschaften in intensives Theater zu verwandeln, in flirrende, tief berührende Begegnungen zwischen Menschen, die doch in sich gefangen bleiben.

Die großartige Meriam Abbas, die ab nächster Spielzeit zum Ensemble gehört, sendet verzweifelte Signale aus, sucht stets körperliche Nähe, denkt aber noch in Michels Umarmung an den Anderen.

Götz Schulte zeigt weniger den brutalen Machtmenschen als den an sich Verzweifelnden. Er bewegt sich in eigene Gedanken verloren oft am Rande der Bühne, die Alexander Müller-Elmau als Baustelle eingerichtet hat. Hier wird versucht, ein Haus zu reparieren - oder ein ganzes Land. Denn Oz meint mit seiner zerrissenen Familie auch Israel als Ganzes.

Alexander steht für die Aufbaugeneration, Michel für die neuen Einwanderer - und Ilana scheint die Seele des Landes zu verkörpern, die zwischen den Fronten zerrieben wird. Nur in Boas setzt Oz noch Hoffnungen. Ilja Niederkirchner gelingt es hervorragend, alle Facetten dieser Figur zu verkörpern, vom verschreckten Kind über den dumpfen Flegel bis zum tatkräftigen Mann, dem alle Ideologien zuwider sind, der aber zu ehrlicher Mitmenschlichkeit fähig ist.

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