Hartmanns Ironie-Schneise durch „Krieg & Frieden“

Wien (dpa) - Wenn als erster der Regisseur das Wort ergreift, heißt das am Theater meistens nichts Gutes. Im Fall der Premiere von „Krieg und Frieden“ im Burgtheater-Kasino nach Leo Tolstois Roman gibt Regisseur und Direktor Matthias Hartmann aber nur die Bedienungsanleitung, wie der Abend zu verstehen sei.

Nämlich als „eine Premiere insofern, als wir aufgehört haben zu proben“, erklärt der Direktor. Ganz fertig werde man wohl nie. Der Prolog stimmt ein auf einen außerordentlichen Theaterabend, der das Publikum begeisterte.

Hartmanns Kurzeinführung mit kokett-selbstironischem Unterton („Wenn Sie hier Soldaten sterben sehen, sind das echte Modelle und hier oben ist immer die Seitenzahl des Romans eingeblendet, damit Sie wissen, wo wir uns befinden“) bringt den Abend auf Schiene. Ein williges Publikum folgt dem Unternehmen über viereinhalb Stunden und steht am Ende nicht nur auf, um sich endlich wieder zu bewegen, sondern um dem Ensemble begeisterten Applaus zu spenden.

Ironie, vor allem aber glänzendes Handwerk seines einsatzfreudigen Ensembles nutzt Hartmann, um eine erzählbare Schneise durch Tolstois detail- und personalreichen Roman zu schlagen, der die Zeit von 1805 bis 1812 umfasst und dabei die Erzählperspektive wechselnder russischer Adeliger einnimmt. Schlachten und Bälle, Duelle und romantische Begegnungen, Familienkrach und Zechgelage wechseln einander ab und die 15 Darsteller schlüpfen in fast 100 Rollen.

Dass dabei nicht der Überblick verloren geht, erreicht Regisseur Hartmann durch einen Trick, der im ersten Teil ermüdend wirkt, im Laufe des Abends aber an Tempo gewinnt. Die Personen sprechen nicht nur ihre Dialoge, sondern auch den Erzähltext und kommentieren, konterkarieren oder verdoppeln so ihre Handlungen.

Hier gelingen witzige und berührende Höhepunkte, etwa wenn der schöne Anatol Kuragin (Oliver Masucci) der hässlichen, aber reichen Marja Bolkonskaja (Sabine Haupt) gegenübertritt und der Kommentar die zur Schau gestellte Höflichkeit unterläuft.

Das alles gießt Ausstatter Johannes Schütz in ein reduziertes Ambiente, in dem der Spielort, das ehemalige Offizierskasino, selbst zur Kulisse wird. Eine Reihe von Tischen und Sesseln und Videosequenzen auf variablen Leinwänden genügen, um die wechselnden Orte anzudeuten.

Hartmann und sein Ensemble arbeiten seit fast zwei Jahren an der Bühnenfassung des Monumentalwerks. Als „öffentliche Proben“ deklarierte Aufführungen waren bereits an mehreren Bühnen zu sehen und wurden mit einem Spezialpreis des Wiener Theaterpreises „Nestroy“ ausgezeichnet. Die jetzt entstandene Inszenierung macht auf zwei Dritteln des Romans Halt, der Rest der Geschichte wird nur noch gestrafft von den betreffenden Figuren erzählt. Kokett als „unfertig“ deklariert, wird der Theaterabend damit auch zu einem Spiel des Theaters mit sich selbst.

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